Interview mit Luca Magnoni, CTO, Alpian

So will Alpian die Lücke zwischen Neo- und Privatbanken schliessen

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Alpian will weder Neobank noch klassische Privatbank sein. Der Schlüssel zur Abgrenzung liegt für die Genfer Challenger-Bank in einer Mischung aus Technologie und Beratung. Alpian-CTO Luca Magnoni spricht darüber, was das heisst, wie die Bank generative KI einsetzt und inwiefern seine Zeit am Cern seine Arbeit in der Business-IT prägt.

Luca Magnoni, CTO, Alpian. (Source: zVg)
Luca Magnoni, CTO, Alpian. (Source: zVg)

Sie waren lange am Kernforschungszentrum Cern in Genf tätig, wo Sie unter anderem am «ATLAS»-Experiment arbeiteten. Was hat Sie dazu gebracht, die Heimat des weltweit grössten Teilchenbeschleunigers zu verlassen und eine Karriere in der Business-IT einzuschlagen?

Luca Magnoni: Die Arbeit am Cern war eine fantastische Erfahrung. Sie gab mir die Möglichkeit, unser Verständnis des Universums voranzutreiben. Grundlagenforschung bringt eine vielfältige Mischung von Menschen und Hintergründen zusammen, die alle mit einer Macher-Mentalität auf ein gemeinsames Ziel hinarbeiten und ständig innovative Lösungen für völlig neue Herausforderungen finden müssen – Lösungen, aus denen häufig die Technologien von morgen entstehen. Das World Wide Web ist ein bekanntes Beispiel, aber es gibt viele andere, einschliesslich medizinischer Anwendungen. Die Experimentalphysik ist, wie viele Bereiche heute, tief mit Fortschritten in Software und Hardware verwoben. Ich hatte die Gelegenheit, mein Fachwissen in modernen Softwaretechnologien anzuwenden, um die Systeme und Anwendungen für die Datenerfassung und -analyse der Experimente zu verbessern. Das war eine lohnende Herausforderung voller wertvoller Erkenntnisse. Aber an einem bestimmten Punkt in meiner Karriere verspürte ich den Wunsch, mehr selbst zu gestalten und aufzubauen – Ideen in konkrete Entwürfe und funktionierende Lösungen zu formen. Das hat mich dazu bewogen, in den Bereich der Business-IT zu wechseln.

Welche Erfahrungen aus Ihrer Zeit am Cern können Sie ­heute in Ihrer Rolle als CTO einbringen?

Aus meiner Erfahrung am Cern habe ich drei Prinzipien mitgenommen, die meine Arbeitsweise bis heute leiten. Erstens, ein starker Fokus auf das Team, denn echter Fortschritt entsteht, wenn man Menschen befähigt, ihnen vertraut und ihnen den Freiraum gibt, gemeinsam zu denken und zu gestalten. Zweitens, eine Denkweise, die handwerkliches Können mit Innovation verbindet: Es geht darum, stolz darauf zu sein, Dinge gut zu machen – und gleichzeitig neugierig und bereit zu bleiben, Annahmen infrage zu stellen, wenn sich bessere Wege zeigen. Und schliesslich, drittens, ein kompromissloser Qualitätsanspruch. Ob in der Forschung oder bei der Entwicklung von Produkten für Endnutzer: Etwas Zuverlässiges und Vertrauenswürdiges zu liefern, ist nicht verhandelbar.

Alpian bezeichnet sich als digitale Privatbank. Was bedeutet das konkret? Und welches Kundensegment wollen Sie adressieren?

Als Alpian startete, bezeichneten wir uns als digitale Privatbank. Die Idee war, professionelle Dienstleistungen rund um die Vermögensverwaltung – die typischerweise nur dem reichsten Segment der Bevölkerung vorbehalten sind – durch intuitive Technologie einem breiteren Publikum zugänglich zu machen. Aber wir merkten schnell, dass das Wort «privat» zu exklusiv klang – es spiegelte nicht vollständig wider, was wir aufbauten. Deshalb haben wir unser Konzept weiterentwickelt. Heute nennen wir es «Banking Upgraded». Das bedeutet, Menschen Zugang zu smarten digitalen Tools in Kombination mit menschlicher Beratung zu geben. Es bedeutet, Hürden abzubauen, Kosten zu senken und Dienstleistungen anzubieten, die sich gleichzeitig intuitiv und persönlich anfühlen. Wir richten uns an das sogenannte Mass-Affluent-Segment: Personen mit einem Vermögen zwischen 100 000 und 1 Million Franken. Privatbanken übersehen dieses Segment häufig, Retailbanken bedienen es nur unzureichend – dabei verdienen diese Kunden mehr als nur eine Zahlungs-App oder eine Do-it-yourself-Plattform: Sie verdienen Beratung, Vertrauen und Klarheit. Alpian wurde für sie geschaffen.

Inwiefern grenzen Sie sich von Neobanken und klassischen Vermögensverwaltern ab?

Alpian ist keine Neobank. Und es ist auch keine traditionelle Privatbank. Wir bewegen uns in einem Raum, der das Beste aus beiden Welten kombiniert. Von den Neobanken nehmen wir die Geschwindigkeit und den Komfort des digitalen Onboardings, Multi-Währungs-Konten und Transparenz. Von den Privatbanken die menschliche Beratung, die Anlage-Expertise und den Fokus auf langfristigen Vermögensaufbau. Das heisst, wenn Kunden mit jemandem sprechen möchten, ist das jederzeit möglich. Zudem verfügen wir über eine eigene Schweizer Bank­lizenz. Wir sind also eine vollwertige Bank und nicht nur eine Benutzeroberfläche, die auf der Lizenz und Infrastruktur einer anderen Institution aufbaut. Das ermöglicht uns, die gesamte Palette an Dienstleistungen anzubieten, die Kunden erwarten: Sparen, Anlegen, Zahlen und Vorsorge – alles an einem Ort.

Gehören digitale Vermögenswerte wie Kryptowährungen oder tokenisierte Anlagen zu Ihrer Produkt-Roadmap? Wenn ja, welchen Nutzen wollen Sie damit erbringen?

Wir glauben, dass digitale Vermögenswerte einen Platz in modernen Portfolios haben. Aber nicht jeder möchte sich mit der Komplexität von Krypto-Wallets oder Börsen auseinandersetzen. Deshalb bietet Alpian den Zugang zu digitalen Vermögenswerten über regulierte Finanzprodukte wie Exchange Traded Products (ETPs) an. Wir sind einer der ersten Vermögensverwalter in der Schweiz, der diskretionäre Portfolios anbietet, die ein Engagement in digitalen Vermögenswerten beinhalten. Kundinnen und Kunden können in Strategien investieren, die traditionelle und digitale Instrumente kombinieren, mit Risikoprofilen, die auf ihre individuellen Ziele zugeschnitten sind.

In welcher Art und Weise kommt KI bei Alpian zum Einsatz?

KI ist bei Alpian in mehrere Ebenen unserer Abläufe eingewoben. Wir haben Wissensagenten entwickelt, die unsere Bankspezialisten unterstützen, indem sie Informationen, Verfahren und regulatorische Dokumente abrufen und zusammenfassen – so können sie effizienter arbeiten und gleichzeitig die Genauigkeit wahren. Auf der Seite der Kundschaft führen wir Funktionen wie unseren Budgetberater ein, der Ausgabemuster erklärt und kontextbezogene finanzielle Einblicke generiert, um den Kunden und Kundinnen zu helfen, ihre Finanzen besser zu verstehen. Und in unseren Engineering-Teams nutzen wir KI, um die Softwareentwicklung über den gesamten Lebenszyklus zu beschleunigen – von der Codegenerierung über das Debugging bis hin zu Tests und Dokumentation. Das Ziel ist immer dasselbe: menschliche Expertise zu erweitern, Reibungsverluste zu reduzieren und bessere Ergebnisse für unsere Teams und unsere Kunden zu erzielen.

Bezüglich generativer KI setzt Alpian unter anderem auf Google. Wozu nutzen Sie die Gemini-Modelle?

Bei Alpian haben wir die Gemini-Modelle von Google als Grundlage für unsere internen und kundenorientierten KI-Initiativen übernommen. Unser Daten- und KI-Team hat ein KI-Framework entwickelt, das Gemini und die Fähigkeiten der Google Cloud nutzt, um Lösungen zu entwickeln, bei denen Data Governance, Erklärbarkeit und Compliance im Mittelpunkt stehen – vollständig im Einklang mit den regulatorischen Erwartungen der Eidgenössischen Finanzmarktaufsicht.

Wie sieht Ihre GenAI‑Roadmap aus?

Unsere GenAI-Roadmap konzentriert sich auf den Aufbau eines agentenbasierten Fundaments, das in der Lage ist, mehrere Anwendungsfälle in der gesamten Organisation zu unterstützen. Derzeit entwickeln wir zwei komplementäre Initiativen, die auf derselben zugrundeliegenden Architektur aufbauen. Die erste Initiative zielt auf datenbasierte Agenten für interne Abläufe. Sie sollen unser agentenbasiertes Framework auf alle von unserer Plattform unterstützten Bankprozesse generalisieren – Transaktionen, Onboarding, Compliance-Workflows und mehr. Ziel ist es, unseren Business-Teams in den Bereichen Compliance, Operations und Risk eine einheitliche und intel­ligente Schnittstelle zur Verfügung zu stellen, mit der sie Daten in Echtzeit untersuchen, korrelieren und verstehen können. Die zweite Initiative konzentriert sich auf ­kundenorientierte Agenten, die schrittweise GenAI-gesteuerte Fähigkeiten integrieren sollen, um die Kundschaft bei ihren täglichen Bankgeschäften zu unterstützen und ihr zu helfen, die Dienstleistungen von Alpian besser zu nutzen. Langfristig ist es unser Ziel, KI zu einem vertrauenswürdigen Begleiter für Mitarbeitende und Kundinnen und Kunden zu machen.

Sind KI-Halluzinationen ein Problem für Sie? Und wie gehen Sie im operativen Geschäft damit um?

Halluzinationen sind eher eine erwartete Herausforderung als ein unerwartetes Risiko. In einem regulierten Bankenumfeld erlauben wir niemals, dass die Ausgabe eines Modells autonom handelt oder ohne Überprüfung als Tatsache präsentiert wird. Um Halluzinationen zu entschärfen, setzen wir auf eine Kombination aus technischen und prozeduralen Schutzmassnahmen. Wir nutzen Retrieval-Augmented Generation (RAG), um Antworten auf verifizierte interne Datenquellen zu stützen, und verfeinern kontinuierlich unsere Prompts und unser Kontextmanagement, um die Modelle zu faktischen, relevanten Ausgaben zu lenken.

Wie funktioniert das?

Die Datenqualität ist entscheidend – wir stellen sicher, dass alle von unseren Agenten verwendeten Referenzdatensätze sauber, korrekt und regelmässig validiert sind, um die Wahrscheinlichkeit irreführender oder unvollständiger Antworten zu vermeiden. Wir verwenden auch strukturierte Antworten mit Schemata und strenger Output-Validierung, um kreative Abweichungen zu verhindern, und wir haben Evaluierungs-Pipelines aufgebaut, die systematisch die faktische Genauigkeit mit bekannten Datensätzen abgleichen. Schliesslich unterhalten wir für alle Compliance-sensitiven Ausgaben «Human-in-the-Loop»-Workflows. Es geht darum, mehrere Schutzmechanismen zu schichten, sodass kein einzelner Fehlerpunkt die Zuverlässigkeit dessen, was wir liefern, beeinträchtigen kann.

Welche Rolle spielen GenAI-Tools heute in der täglichen Arbeit Ihrer Teams?

GenAI-Tools sind zu einem festen Bestandteil der täglichen Arbeit bei Alpian geworden. Sie steigern die Effizienz, Kreativität und Entscheidungsfindung in mehreren Teams. Unsere Engineering- und DevOps-Teams nutzen Gemini, um die Softwarebereitstellung zu beschleunigen – vom Generieren und Debuggen von Code bis zum Schreiben von Tests und Verbessern der Dokumentation. Dies hat die Entwicklungszyklen erheblich verkürzt und die Konsistenz unserer Codebasis erhöht. Die Datenteams verwenden KI-Agenten, die in unser Data Warehouse integriert sind, um die Datenexploration und die Erstellung von Abfragen zu beschleunigen, während Governance und Genauigkeit in den Analyse-Workflows gewahrt bleiben. Und nicht-technische Teams, wie Compliance-Beauftragte und Operations Manager, nutzen Wissensassistenten als Teil unseres agentenbasierten Frameworks, um effizienter auf Kundeneinblicke und regulatorische Informationen zuzugreifen. Insgesamt wirkt GenAI als intelligenter Produktivitäts-Booster in der gesamten Organisation. Die Technologie verstärkt die menschliche Expertise, indem sie unsere Teams von repetitiven Aufgaben befreit und ihnen ermöglicht, sich auf höherwertige, strategische Arbeit zu konzentrieren. Sie verbessert auch den Zugang zu Daten für unsere Geschäftsteams, indem sie ein natürlichsprachliches Interface einführt, das es ihnen ermöglicht, komplexe Datensätze intuitiv abzufragen und zu interpretieren, ohne auf technische Vermittler angewiesen zu sein.

Welches konkrete Ziel verfolgt Alpian mit KI: Kostenreduktion, bessere Kundenerfahrung, Risikominimierung oder eine Kombination daraus?

Definitiv eine Kombination aus diesen Zielen. Bei Alpian war Technologie schon immer ein Effizienzmultiplikator, und KI ist da keine Ausnahme. Wir sind in einer starken Position, weil unsere moderne, komplett digitale Bankplattform von Grund auf mit Fokus auf Automatisierung entwickelt wurde, die aber menschliche Interaktionen ermöglicht, wo sie am wichtigsten sind. Die Qualität unserer Daten und die API-Architektur der Plattform machen KI zur idealen Ergänzung, sowohl für die betriebliche Effizienz als auch für die Bereitstellung massgeschneiderter Kundenerlebnisse. Also ja, wir verfolgen gleichzeitig Kosteneffizienz, eine bessere Customer Experience und Risikomanagement. Für uns sind das keine konkurrierenden Prioritäten – sondern komplementäre Ergebnisse desselben Fundaments.

Woran messen Sie den Erfolg dieser Vorhaben?

Wir messen den Erfolg über mehrere Dimensionen. Operativ verfolgen wir Effizienzkennzahlen wie die Bearbeitungszeit pro Support-Anfrage, die Automatisierungsrate routinemässiger Bankgeschäfte und den Rückgang manueller Eingriffe. Beim Kundenerlebnis überwachen wir die Interaktion mit den digitalen Funktionen, die Kundenzufriedenheitswerte und die Zeit, die zur Lösung von Anfragen oder zum Abschluss von Bankgeschäften benötigt wird. Aber der vielleicht aussagekräftigste Indikator ist unsere Fähigkeit, zu skalieren, ohne dass die Anzahl der operativen Mitarbeitenden proportional ansteigt. In Alpians Geschichte gab es Momente massiven Wachstums – eine Verzehnfachung der Arbeitslast innerhalb weniger Tage. In einem traditionellen Bankensystem hätte dies eine entsprechende Skalierung der operativen Kapazitäten erfordert. Bei Alpian hat unsere digitale Plattform diese Herausforderung vollautomatisch gemeistert. Darauf kommt es letztlich an: Wir können massiv wachsen, ohne dass der operative Aufwand im gleichen Masse steigt. Das zeigt uns, dass unsere Technologieinvestitionen funktionieren.


Zur Person
Luca Magnoni ist seit Juli 2025 CTO von Alpian. Zuvor hatte er Führungspositionen bei Alpian und Nexthink inne. Vor seinem Wechsel in die Finanzdienstleistungsbranche war er über zehn Jahre am Cern tätig gewesen, wo er sich auf verteilte Systeme und datenintensive Anwendungen spezialisiert hatte. Er arbeitete am Trigger- und Datenerfassungssystem (TDAQ) des «ATLAS»-Experiments am Large Hadron Collider und war als Computing Engineer und Solution Architect für Monitoring-Infrastrukturen des IT-Rechenzentrums zuständig. Luca Magnoni promovierte in Informatik an der Università degli Studi di Ferrara.

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q3crmEaX