Live-Interview

"Ich sehe mich selbst als proaktiven CIO"

Uhr | Aktualisiert

Im Interview erzählt Ursula Soritsch-Renier, CIO des Schweizer Industrieunternehmens Sulzer, wie sich Sulzer in den letzten Jahren neu positioniert hat und welche Rolle die IT und die Mitarbeiter dabei gespielt haben.

Ursula Soritsch-Renier ist seit April 2013 CIO des Schweizer Industrieunternehmens Sulzer. (Quelle: Netzmedien)
Ursula Soritsch-Renier ist seit April 2013 CIO des Schweizer Industrieunternehmens Sulzer. (Quelle: Netzmedien)

Frau Soritsch-Renier, Sie sind CIO eines global agierenden Unternehmens. Wie lebt es sich als Frau in dieser Funktion?

Mir geht es gut! Mein Job macht mir Spass, weil ich gerne Dinge forme und verändere. Natürlich polarisiert man als Frau, man kommuniziert ein bisschen anders, und man trägt nicht immer Hosen. Es war für mich früher als Frau in einer Männerdomäne manchmal schwieriger, da ich eben anders bin und in meiner Karriere nicht immer gefördert wurde. Aber hier bei Sulzer habe ich nichts als Kooperation erfahren. Ich muss auch betonen, dass mir Zeit gegeben wurde, zu zeigen, was ich kann. Im Endeffekt muss man ja Resultate bringen, ob man nun ein Mann oder eine Frau ist.

Sie sagen, dass Sie gerne Dinge verändern und formen. Bei Sulzer hat es in den letzten Jahren viele Umbauten gegeben. Wie kam es dazu?

Das ist historisch bedingt. Sulzer hatte vor 10 bis 15 Jahren eine Neuorientierung eingeleitet. Das Unternehmen hat begonnen, sich dezentral aufzustellen und hat Divisionen verkauft. Diese Dezentralisierung war damals ein Erfolgsrezept. Supportfunktionen wie HR, IT oder Finanzen wurden lokal aufgesetzt. So wurde die Profitabilität pro Standort unter Beweis gestellt, was zu einer Art Wettbewerb oder Bonussystem geführt hat. Mit der Zeit stellten sich unsere Kunden global auf und betrachteten somit natürlich auch Sulzer global. Global bedeutet aber auch, dass die Organisationsstruktur den internen Dialog fördert, um so entsprechend auf Kundenbedürfnisse reagieren zu können. Unsere dezentrale Aufstellung, die wir damals hatten, hat dem aber widersprochen. So kam es zu einem Strukturwandel, bei dem die IT eine wesentliche Rolle spielte.

Und worin besteht dieser Strukturwandel?

Am Anfang war es so, dass die Corporate IT eine kleine Abteilung war, die einen Teil der IT von Sulzer unter sich hatte. Daneben gab es divisionale IT-Abteilungen. Was die Zielrichtung anbelangt, war schon damals klar, dass wir die Stärken zusammenfassen würden, wo Synergien vorhanden sind. Wir erarbeiteten folglich zusammen eine organisatorische Veränderung. Seit Januar dieses Jahres haben wir eine Group IT, und alle IT-Leute berichten an mich, zudem berichte ich seit November 2013 direkt an den CEO. Zuvor hatte ich an den CFO berichtet.

Welche Stellung hat für Sie die IT in einer Organisation?

Für mich ist die IT die Lebensader einer Organisation. Wenn man irgendwelche Prozesse betrachtet, sind diese immer in IT-Systemen abgebildet, die funktionieren müssen.

Wie haben Sie die ganzen Umbauten technisch umgesetzt?

Wir haben bei den Basiskomponenten in den letzten 17 Monaten sehr viele Fortschritte gemacht. Wir haben jetzt neu ein globales Netzwerk und unsere E-Mail-Systeme zusammengeführt, und wir arbeiten an einem Active Directory – die normalen Themen eben, die man in der IT durchzieht. Wichtig dabei war, Schritt für Schritt vorzugehen. Man kann nicht alles auf einmal umbauen. Also ist es wichtig, zu priorisieren und die Aufgabenliste übersichtlich zu gestalten. Es braucht individuell in sich abgeschlossene Projekte, sodass ich mir Schritt für Schritt eine Verbesserung erarbeiten kann. Jemand hat mich einmal gefragt, wann man in der IT mit so einem Umbau fertig ist. Die Antwort ist: eigentlich nie. Aber das ist ja auch gerade das Interessante daran.

Welche Erfahrungen haben Sie aus diesen Umbauten gewonnen?

Für mich geht es bei der Technologie nur um den Menschen. Ich habe noch kein IT-Projekt gesehen, das an der Technologie gescheitert ist, denn die kann man im Endeffekt immer funktionell anpassen. Im Prinzip geht es um die Optimierung von Prozessen und darum, die Mitarbeiter beim entsprechenden Change-Prozess mitzunehmen. Daher kommt auch mein Schritt-für-Schritt-Ansatz, denn wenn man dosiert, macht man das Ganze überschaubarer. Dann ist es auch mehr eine graduelle Veränderung, die da passiert. Wichtig ist auch, dass man es feiert, wenn man in einem Projekt kleine Zwischenziele meistert. So erreicht man auch eine andere Wahrnehmung bei seinem Gegenüber. Diese Wahrnehmung des Erfolgs ist wichtig für jeden nächsten Schritt.

Wie haben die Mitarbeiter auf die Umbauten reagiert?

Grundsätzlich erlebte ich eine grosse Kooperationsbereitschaft bei denen, die diesen Wechsel mitgemacht haben. Wir stecken als Unternehmen jetzt noch immer in diesem Wechsel, er ist ja noch nicht abgeschlossen. Es gibt Menschen, die bereit sind, die Veränderungen mitzumachen, und es gibt auch Opponenten. Ich würde meinen, dass ich schon im Vorfeld ziemlich viel Überzeugungsarbeit leisten musste, bevor die ganzen Organisationen erkannten, was wir eigentlich tun können, wenn wir zusammenarbeiten und zusammenhalten. Die Leute verstehen inzwischen, dass sie jetzt mehr bewegen können. Das ist ein positives Momentum, bei dem die Mitarbeiter mitmachen wollen.

Wie stellen Sie sicher, dass die Kommunikation zwischen Ihnen und den anderen funktioniert?

Ich bin alle zwei, drei Wochen in Webinars und ich spreche monatlich mit Leuten weltweit. Ich versuche auch, zu den grossen IT-Standorten zu reisen. Ich machte schon einmal eine Tour und beginne nun meine zweite. Bei dieser Tour setze ich mich immer mit dem gesamten ITTeam und auch dem ganzen Businessmanagement zusammen. Die erste Frage, die ich bei solchen Gelegenheiten stelle, ist immer, wie die Kollegen die IT wahrnehmen. Denn Wahrnehmung ist Realität. Diese Interaktion und Kommunikation, die daraufhin direkt passiert, ist sehr wichtig und durch nichts zu ersetzen.

Wie lange dauert eine solche Tour?

Es kommt immer ein bisschen auf die Distanz an. Für England kann man zwei, drei Tage einplanen, in eine Reise nach Übersee versuche ich hingegen mehr Zeit zu investieren. Mitte Juli war ich beispielsweise eine Woche in Houston. Ich treffe jeweils auch verschiedene Business Units vor Ort und hole mir dort regional alle IT-Leute zusammen.

Wie verlaufen diese Treffen mit dem Business?

Grundsätzlich sitze ich einmal im Monat mit dem CEO und den Divisionspräsidenten zusammen. Die IT hat bei Sulzer eine signifikante Position, weil ihr wirklich Aufmerksamkeit entgegengebracht wird. Wenn ich mit meinen Businesspartnern spreche, weiss ich, dass sie Experten in ihrer Funktion sind und ich Expertin in meiner Funktion bin. Zusammen erarbeiten wir dann die beste Lösung für Sulzer. Jeder hat seine Aufgabe, und meine Verantwortung ist, dass die IT integrierbar, wartbar und kosteneffizient ist. Daher spreche ich auch nie von Kunden, sondern immer von meinen Businesspartnern.

Worauf sind Sie stolz?

Jedes Unternehmen hat einen Businessplan – oder sollte zumindest einen haben. Bei uns gibt es nun neu auch einen IT-Midrange-Plan, der von 2015 bis 2017 läuft. Darauf bin ich tatsächlich ein bisschen stolz, ich weiss nicht, wie viele Firmen darüber verfügen. Bei diesem Midrange-Plan geht es darum, zu entscheiden, was ein Unternehmen in den nächsten drei Jahren beschliessen will, wohin es und was es erreichen will. So können wir gegenseitig unsere Erwartungshaltung darlegen und gemeinsam diesen Weg gehen.

Wie finden Sie heraus, wohin das Unternehmen beziehungsweise Ihre Businesspartner wollen?

Ich sehe mich selbst als proaktiven CIO. Meine Mitarbeiter und ich müssen verstehen, worum es im Business geht. Also erarbeitete ich mir anfangs eine Liste, präsentierte sie unseren Businesspartnern und fragte sie, ob ich in der Annahme richtig gehe, dass dies das ist, was sie benötigen. Aufgrund dieser Basis konnten wir nun konstruktiv zusammen die Zukunft diskutieren. Bei diesen Gesprächen zeigte sich, welche Funktionalitäten meine Businesspartner benötigen. Es ist wichtig, zu wissen, wie sich Themen wie Mobilität oder CRM entwickeln werden. Es ist unsere Aufgabe, hier proaktiv mitzuarbeiten und nicht nur einfach als Enabler zu wirken. So sind wir auch wirkliche Partner für das Business.

Was fasziniert Sie an Ihrer Position?

IT ist dynamisch, das fasziniert mich, und ich mag es, Veränderungen voranzutreiben. Ich bin sehr interessiert an den Menschen und daran, Veränderungsprozesse mit einer Zielsetzung durchzusetzen. Das ist das, was mich vorantreibt. Ich suche nach Erfolg und will Leute motivieren, am gleichen Strang zu ziehen. Ein Erfolgserlebnis zu haben, ist unglaublich motivierend. Wenn man das einmal erlebt hat, will man es immer wieder erleben. Ich glaube, dass wir inzwischen ein wirklich gutes Team geworden sind. Ich sage immer, dass man auch lachen und Spass haben können muss im Job. Dann passiert auch alles viel einfacher und besser, und die Mitarbeiter sind viel motivierter und engagierter. Und wenn man ihnen in die Augen schaut und sagt: «Ich vertraue dir, dass du das machst», dann engagieren sie sich noch mehr, um etwas zu erreichen.

Kommen wir noch zu ein paar strategischen Fragen: Haben Sie eine Sourcing-Strategie?

Im IT-Bereich gibt es bei uns Outsourcing, aber wir haben nicht sehr viel ausgelagert, nur Routinearbeiten wie Backend, Infrastruktur und Monitoring. Wenn man diese nicht outsourct, ist das von der Kostenrelation aus nicht tragbar.

Sie können damit also Kosten sparen?

Ja, wir sind auf dem besten Weg dorthin. Als ich kam, hatten wir zu viele Externe, die in Bereichen wie dem Monitoring, Application Management und E-Mail-Management aktiv waren. Da gab es teilweise externe Berater vor Ort. Das ist natürlich aus der Kostenperspektive ungünstig. Hier reduziere ich gerade, und daraus ergibt sich definitiv eine Kosteneinsparung.

Ist die Public Cloud für Sulzer ein Thema?

Wir schauen uns das derzeit an, aber wir wollen nichts überstürzen. Wir analysieren, was das konkret für uns bedeutet, und fragen uns, was ein Einstieg in die Public Cloud genau mit sich bringen würde. Wir müssen beispielsweise wissen, wie ein Backup in der Cloud genau definiert ist, wer dann für den Restore zuständig ist und wer die Verantwortung dafür trägt, dass das Geschäft weiterläuft. Und ich muss herausfinden, welche Skillsets ich mit der Cloud benötige. Die Technologie ist da nicht das Problem, es geht um die Prozesse, die Service Levels und die Skills.

Wie sieht es mit zukünftigen Projekten aus?

Ich habe kein Mammutprojekt, das alles andere erschlägt. Der Midrange-Plan mit vielen Projekten ist unser Wegweiser. Was die Themenbereiche anbelangt, beschäftigen wir uns unter anderem mit unseren Businessprozessen. Dabei werden wir den Kernprozessen mehr Aufmerksamkeit schenken als den Supportprozessen. Es sind auch Verbesserungen im ERP geplant, und für unsere Verkaufsprozesse benötigen wir mehr IT-Standardisierung aufgrund unserer globalen Ausrichtung. Ich möchte einfach spezifisch schauen und priorisieren, was unser Unternehmen weiterbringt und was wir benötigen, und diejenigen Funktionalitäten umsetzen, bei denen der grösste Bedarf besteht.