Nachgefragt beim "Next Global Hot Thing"

Sandipan Chakraborty: "Letztlich muss man auch ein wenig verrückt sein"

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In einer verschneiten Winternacht war Sandipan Chakraborty auf der Suche nach Bargeld, um den Babysitter zu bezahlen – und hatte eine Idee: Warum kann man Bargeld nicht einfach in lokalen Geschäften beziehen? Aus der Idee wurde die Firma Sonect – das "Next Global Hot Thing" der Schweizer IT-Branche.

Sandipan Chakraborty, CEO, Sonect
Sandipan Chakraborty, CEO, Sonect

Wie viel Bargeld haben Sie aktuell bei sich?

Sandipan Chakraborty: Im Moment habe ich 50 Franken im Portemonnaie. Aber nur als Backup. Normalerweise habe ich überhaupt kein Bargeld bei mir.

 

Haben Sie die 50 Franken über Sonect bezogen?

Ja, natürlich! Da ich nicht gerne Bargeld bei mir trage, benutze ich die Sonect-App auf meinem Smartphone, weil ich damit Bargeld genau dort beziehen kann, wo ich es am meisten brauche.

 

Sie haben mit Sonect am Digital Economy Award die Auszeichnung "Next Global Hot Thing" und den Fintech-Preis gewonnen. Was bedeuten diese Auszeichnungen für Sie?

Ehrlich gesagt haben wir nicht erwartet, dass wir beide Auszeichnungen gewinnen würden, die Mitbewerber hatten grossartige Ideen präsentiert. Jeder hätte an diesem Abend gewinnen können ! Natürlich waren wir nach dem Gewinn der beiden Preise euphorisch, denn das unterstreicht, dass die Leute unsere Meinung teilen und dass wir in der Lage sind, einen globalen Impact zu erzielen. Das ganze Team hat die Preisverleihung über den Livestream verfolgt und die Begeisterung war entsprechend riesig.

 

Die Jury des Awards sagte, Sonect sei auf dem besten Weg, das weltweit grösste Geldautomaten-Netzwerk zu werden. Ist das Ihr Ziel?

Ja. Wir sehen Sonect als eine Plattform ähnlich wie Uber oder Airbnb. Keiner von beiden verfügt über ein Taxi beziehungsweise Hotel, und doch sind sie das grösste Taxiflotten-Netz und die grösste Hotelkette der Welt! Unser Ziel ist es, das grösste Bargeldbezug-Netz der Welt zu werden, ohne dass wir eine physische Infrastruktur besitzen.

 

Wie wollen Sie das schaffen?

Unsere User können jetzt überall mit ihrem Smartphone Bargeld abheben, ohne einen Geldautomaten aufsuchen zu müssen. Über unsere Plattform verbinden wir diejenigen, die Bargeld abheben wollen, mit denen, die es einzahlen wollen, in der Regel mit einem lokalen Ladenbesitzer. Auf diese Weise werden die Ladenbesitzer nicht nur ihr Bargeld los, sondern verdienen eine Provision und haben zusätzliche Laufkundschaft im Laden. Dadurch verkürzen wir den Zyklus der Bargeldrückführung, was wiederum zu Kosteneinsparungen bei Banken und Ladenbesitzern führt.

 

Wie ist die Idee zu Sonect entstanden?

In einer verschneiten Winternacht in Bern. Wir mussten unseren Babysitter bar bezahlen, und ich hatte kein Bargeld bei mir. Auf dem Weg zum Geldautomaten lief ich an einer Pizzeria vorbei und ich dachte mir "Moment mal, sie brauchen das Bargeld jetzt nicht und müssen es später sowieso bei ihrer Bank deponieren. Ich brauche das Bargeld sofort und gehe zur gleichen Bank? Das ergibt einfach keinen Sinn – warum können die Pizzeria und ich das Bargeld nicht einfach so umtauschen, dass wir uns beide den Weg zur Bank ersparen?"

 

Was waren die grössten Hürden in der Entwicklung der Firma?

Wenn du beginnst, ein Problem zu lösen, welches das Leben fast aller Menschen auf der ganzen Welt berührt – ja, Bargeld ist auch heute noch die vorherrschende Zahlungsmethode auf der ganzen Welt! –, bieten sich wieder neue Herausforderungen und Möglichkeiten. Diese Möglichkeiten zu priorisieren und sich auf die richtigen Märkte zu konzentrieren, blieb eine ganze Weile lang eine grosse Herausforderung. Eine weitere Challenge in den Anfangszeiten war, gute Talente zu vernünftigen Konditionen zu gewinnen.

 

Wie haben Sie diese Herausforderungen gemeistert?

Wir mussten einfach ein paar harte Entscheidungen treffen und anfangen, bei mehreren Gelegenheiten «Nein» zu sagen. Als Gründer ist das wirklich schwierig, da man nie weiss, ob sich diese Gelegenheiten wieder einmal ergeben oder nicht. Ich bin meinem Führungsteam und meinem Vorstand dankbar und bin zuversichtlich, dass wir die richtige Entscheidung getroffen haben, die Märkte zu priorisieren und unseren Fokus intensiv auf diese Märkte zu legen.

 

Und die Suche nach Talenten?

Das zweite Problem konnte durch die Gewinnung von Menschen mit der richtigen Motivation gelöst werden. Wir haben bei der Einstellung von Mitarbeitern innerhalb des Unternehmens immer der Leidenschaft für den Erfolg Vorrang vor relevanten Fähigkeiten gegeben. Ich bin der festen Überzeugung, dass Fähigkeiten vermittelt werden können, aber wenn man keine Leidenschaft für die Arbeit im Unternehmen empfindet, können keine Berge versetzt werden. Letztlich muss man auch ein wenig verrückt sein, wenn man davon träumt, die Welt zu erobern.

 

Wie verdient Sonect Geld?

Jeder Bargeldbezug verursacht zuerst einmal Kosten. Mit unserer Lösung reduzieren wir einerseits die Fremdbankengebühr und bieten eine kostengünstigere Alternative zum Bargeldbezug am Geldautomaten an. Wir verdienen also Geld pro Transaktion und teilen diese Einnahmen mit dem Ladenlokal. Auf diese Weise verdienen Einzelhändler Geld, während Banken und unsere Kunden Geld sparen. Eine tolle Win-win-Situation für alle Beteiligten.

 

Sie bieten den Bargeldbezug in Läden an und erweitern damit das Netz von Bancomaten in der Schweiz. Was ist daran innovativ?

Die Verwendung von Bargeld nimmt stetig ab, somit wird auch an der Infrastruktur der Geldautomaten gespart. In vielen Dörfern in der Schweiz gibt es heute schon keinen Zugang zu Bargeld mehr, während der Bedarf an Bargeld aber weiterhin vorhanden ist. Mit unserer Lösung kann der Dorfladen ohne Investitionen und in kürzester Zeit diese Lücke schliessen. Darüber hinaus arbeiten wir mit Cash-in-Transit-Unternehmen – das sind Unternehmen, die Bargeld sicher von einem Ort zum anderen mit gepanzerten Lastwagen transportieren – wie Loomis zusammen, um die Effizienz des ganzheitlichen Bargeldkreislaufs zu erhöhen. Diesem gesamten Bargeldkreislauf fehlte jahrzehntelang die innovative Anwendung von Technologie. Unsere auf der Geolokalisierung basierende dynamische Verkehrsführung zum Geschäft ist in diesem Bereich einzigartig.

 

Wie viele Mitarbeiter beschäftigt Sonect aktuell?

Wir sind derzeit 30 Personen.

 

Wo wird Sonect entwickelt?

Das Herz von Sonect ist in der Schweiz. Wir haben jedoch auch ein dezentralisiertes IT-Team, das in ganz Europa verstreut ist.

 

Es gibt Bestrebungen, das Bargeld durch elektronische Zahlungsmittel zu ersetzen. Was bedeuten diese Pläne für Sonect?

Ich glaube, bar oder bargeldlos – die Wahl der Zahlungsmethode muss immer dem Verbraucher überlassen ­werden. Skandinavische Länder etwa wurden innerhalb von wenigen Jahren fast komplett bargeldlos. Nun muss aber Schweden per Gesetz jedem Bürger den Zugang zu Bargeld garantieren, was dazu führt, dass schwedische Banken in ein Geldautomatennetzwerk investieren müssen.

 

Und ausserhalb von Skandinavien sieht es anders aus?

Im Gegensatz zu den Nordländern ist das übrige Europa weiterhin extrem bargeldlastig und es wird ewig dauern, bis die ganze Welt in eine völlig bargeldlose Gesellschaft übergeht. Die Geschichte zeigt, dass es mehr als 50 Jahre dauerte, bis Visa und Mastercard nur 15 Prozent des weltweiten Marktanteils für Verbraucherzahlungen am Verkaufspunkt erreicht hatten.

 

Was machen Sie, wenn die Menschen eines Tages nicht mehr mit Bargeld bezahlen?

Grundsätzlich ist es so, dass Sonect heute schon digitale Zahlungen ermöglichen könnte. Die technischen und legalen Rahmenbedingungen erfüllen wir. Tatsache ist aber, dass in der Schweiz immer noch über 60 Prozent der Verbraucherzahlungen mit Bargeld getätigt werden, weltweit sind es über 80 Prozent. Unsere Strategie besteht daher darin, den heutigen Bargeldnutzern einen einfachen Zugang zu Bargeld zu ermöglichen, um dann zusammen in die digitale Zukunft zu wachsen.

 

Wie und wo wollen Sie wachsen?

In diesem Jahr planen wir die Einführung unserer Plattform in mehreren europäischen Ländern und bereiten uns auf die Markteinführung in Mexiko vor. Wir arbeiten derzeit mit mehreren Partnern und Interessenten in diesen Märkten zusammen und erwarten, in einigen Ländern zu starten.

 

Wer sind die grössten Konkurrenten von Sonect?

Barzahlen.de in Deutschland, Socash in Singapur, Spare in den USA und Rocket in Pocket in Indien sind unsere engsten Konkurrenten – sie alle bauen jedoch auf bestehende Zahlungsnetzwerke auf.

 

Was machen Sie anders?

Wir bauen unsere Plattform auf dem Open Banking nach PSD2 und SEPA Instant Payments auf – das bietet einen erheblichen Preisvorteil. Zweitens ist Sonect eine offene Plattform, bei der sich jeder als Geldautomat anmelden kann, so wie jeder auch Uber-Fahrer oder Airbnb-Gastgeber werden kann. Nicht zuletzt wird Sonect das maschinelle Lernen nutzen, um den richtigen Verbraucher mit dem richtigen Geschäft zusammenzubringen und so die Wertschöpfung für alle Beteiligten zu maximieren. Solche Technologien werden von keinem der Wettbewerber eingesetzt.

 

Was halten Sie von Twint, Apple oder Google Pay?

Betrachtet man das Spektrum der Zahlungsinstrumente, so gibt es auf der einen Seite Kartennutzer und auf der anderen Seite Bargeldnutzer. Wie ich bereits erwähnt habe, treten heute sowohl Twint als auch Apple, Google und alle anderen Technologiegiganten von dieser einen Seite des Spektrums auf den Markt. Kunden müssen ihre Karten nicht behalten, sondern nur ihr Telefon benutzen – und das ist bereits ein hart umkämpfter Markt. Wir treten von der anderen Seite des Spektrums in den Markt ein. Wir zielen auf die heutigen Bargeldnutzer ab und sagen ihnen: Mögen Sie Bargeld? Gut, nutzen Sie es weiter – wir machen Ihnen das Leben damit viel einfacher, indem wir Ihnen Einfachheit, Sicherheit und Freiheit geben.

 

Welchen Stellenwert haben in diesem Zusammenhang Kryptowährungen wie Bitcoin für Sie?

Ich bin der Meinung, dass in naher Zukunft die Verbraucher Bitcoin gegen Bargeld und umgekehrt tauschen können und beide ihre eigene Anwendbarkeit haben werden.

 

Sonect gewann in der Vergangenheit Valora und Volg als Partner. Wie gingen Sie dabei vor?

Alle Einzelhändler haben massive Kosten für die Bargeldbearbeitung. Andererseits müssen sie für jede digitale Transaktion zusätzlich bezahlen. Unsere Lösung ist daher bei Volg und Valora sofort auf Akzeptanz gestossen.

 

Welche weiteren Partner hätten Sie gerne?

Wir würden gerne das Problem rund um die Bargeldabwicklung für jeden Einzelhändler in der Schweiz lösen. Sei es für eine Bäckerei oder Tankstelle, Restaurants oder sogar grosse Einzelhändler. Eir glauben, dass sie alle von unserer Plattform profitieren können.

 

Wie sieht die Zukunft von Sonect aus?

Es gibt nur sehr wenige Probleme, die in allen Teilen der Welt von grundlegender Bedeutung sind und globale Industrien betreffen. Sonect befasst sich mit einem solchen Problem und wir haben es bereits geschafft, globale Interessen aufzugreifen. Wir glauben, dass Sonect innerhalb der nächsten Jahre das Potenzial hat, eine globale Marke zu werden, und deshalb sind wir zuversichtlich, dass wir beweisen können, dass wir das "Next Global Hot Thing" sind!

 

Was sind persönlich Ihre nächsten Ziele?

Das ist eine schwierige Frage. Ich trenne meine Ziele nicht von den Unternehmenszielen. Ich wäre äusserst glücklich und stolz, mein Team und das Unternehmen zu seinem vollen Potenzial zu führen. Eine bessere Führungskraft in diesem Prozess zu werden, wäre ein persönlicher Gewinn.

 

Zur Person

 

Sandipan Chakraborty gründete Sonect im August 2016, heute ist er CEO des Zürcher Fintech-Unternehmens. Davor war er in der IT der Credit ­Suisse seit 2004 in verschiedenen Positionen tätig. Gleichzeitig war er insgesamt 12 Jahre lang Projektmanager bei Cognizant. Chakraborty besitzt einen Bachelor of Technology, Electronics & Communication Engineering des National Institute of Technology Warangal und ist Certified Scrum-Master. Im November 2019 wurde Sonect an der Digital Economy Award Night zum "Next Global Hot Thing" gekürt.

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