Fachartikel

Die Bereitschaft von Schweizer Spitex Organisationen zur Einführung eines EPD

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von Rainer Endl, Professor für Wirtschaftsinformatik, FHS & Lars Kündig , IT-Berater bei BDO

Der Erfolg des EPD hängt von dessen Verbreitung ab. Ambulante Pflegeeinrichtungen (Spitex) sind nicht zur dessen Einführung verpflichtet, spielen aber eine wichtige Rolle im Gesundheitswesen. Wie stark ausgeprägt ist bei der Spitex die Bereitschaft zur freiwilligen Einführung des EPD?

Mit der Annahme des Bundesgesetzes über das elektronische Patientendossier (EPDG) ist 2015 die gesetzliche Grundlage für die schweizweite Einführung eines elektronischen Patientendossiers (EPD) geschaffen worden. Damit sollen wichtige Informationen über Patientinnen und Patienten berechtigten Gesundheitsfachpersonen digital zur Verfügung gestellt und so der interprofessionelle Austausch patientenbezogener Gesundheitsdaten zwischen Gesundheitsdienstleistern erleichtert werden. Mit der orts- und zeitunabhängigen Verfügbarkeit relevanter Patienteninformationen können zahlreiche Vorteile realisiert werden, wie Vermeidung von Doppeluntersuchungen, Reduktion des Verwaltungsaufwands, Steigerung der Behandlungseffizienz und der -kosten durch effiziente elektronische Prozesse. Vor allem aber verspricht man sich einen erheblichen positiven Einfluss auf Patientensicherheit, Ergebnisqualität der Behandlung und Transparenz.

 

Die Bedeutung der Teilnahme von Spitex-­Organisationen

Ein kritischer Erfolgsfaktor für das elektronische Patientendossier ist dessen möglichst flächendeckende Verbreitung. Nur wenn das EPD von möglichst vielen Gesundheitsdienstleistern verwendet wird, kann man davon ausgehen, dass darin aktuelle und vollständige Informationen über den Gesundheitszustand einer Patientin oder eines Patienten enthalten sind. Dies gilt vor allem für ältere Menschen oder solche mit chronischen Krankheiten. Denn diese Gruppen werden über lange Zeiträume von stationären und ambulanten Institutionen therapiert und betreut, was einen hohen Koordinationsbedarf der involvierten Gesundheitsfachpersonen bedingt. Gemäss EPDG werden bislang aber nur die stationären Leistungserbringer verpflichtet, sich dem EPD bis spätestens 2022 anzuschliessen. Für ambulante Einrichtungen wie Spitex, Apotheken und Arztpraxen gilt diese Verbindlichkeit nicht. Da die Teilnahme aller Versorger für den Erfolg des EPD sehr wichtig ist, sollten auch Spitex-Organisationen, als wichtiger Bestandteil in der Altersversorgung, zur freiwilligen Einführung des EPD bereit sein. Denn für diese zeigen sich einerseits erhebliche Nutzenpotenziale. Die EPD-Einführung ist andererseits aber mit bedeutenden finanziellen und personellen Aufwänden sowie organisatorischen Veränderungen verbunden. Es ist daher schwierig, zu beurteilen, wie ausgeprägt die Bereitschaft der Spitex-Organisationen ist, sich freiwillig dem EPD anzuschliessen, zumal Hürden wie beispielsweise Datenschutz oder kulturelle Aspekte oft weitere Hindernisse für die fakultative Einführung sind. Nichtsdestotrotz ist es auch für Spitex-Organisationen unerlässlich, mit dem digitalen Wandel Schritt zu halten.

 

Untersuchungsgegenstand

In einer Masterarbeit im Studiengang Wirtschaftsinformatik an den Hochschulen Winterthur (ZHAW) und St. Gallen (FHS) wurde der Frage nachgegangen, in welchem Masse Spitex-Organisationen für die Einführung des EPD gerüstet und "bereit" sind. Aus den Ergebnissen können die Ist-Situation beschrieben und relevante Handlungsfelder identifiziert werden. Damit soll ein Beitrag zum Erfolg des EPD geleistet werden. Untersucht wurden drei Dimensionen, die gleichermassen zur Bereitschaft beitragen:

Die technologische Dimension befasst sich mit Systemen und Daten sowie neuen Technologien und Potenzialen von E-Health.

Bezüglich der Dimension "Organisation" wird untersucht, welche Verantwortlichkeiten, Positionen, Konzepte und Prozesse bestehen, um vom digitalen Trend zu profitieren und dessen Herausforderungen zu begegnen.

Die Dimension "Kultur" steht für die mentale Einführungsbereitschaft des EPD in der Spitex. Es wird die Einstellung zu und der Stellenwert von E-Health im Spitex-Alltag und das Bewusstsein über die Bedeutung der Digitalisierung für die unternehmerische Zukunft untersucht.

 

Die Daten wurden per Onlineumfrage unter insgesamt 186 gemeinnützigen, öffentlich-rechtlichen sowie erwerbswirtschaft­lichen Spitex-Organisationen in der deutschsprachigen Schweiz erhoben. Die Ergebnisse wurden anschliessend durch Experteninterviews validiert und plausibilisiert. Aus den erhobenen Daten wurde schliesslich eine einheitliche Grösse geschaffen, die als "Bereitschaftsgrad" bezeichnet wurde. Dieser wird als prozentualer Wert aus der Punktzahl einer Antwort aus den insgesamt 35 Aussagen errechnet. Dabei wurden alle Fragen gleich stark gewichtet.

 

Einblicke in die EPD-Bereitschaft der Spitex

Die Auswertung der Daten zeigt einen mittleren Bereitschaftsgrad von 60 Prozent (Grafik). Bei der Interpretation dieser Zahl ist aber die hohe Varianz der Antworten zu beachten. So speichern die allermeisten Organisationen (95 Prozent) zwar schon heute die Pflegedaten elektronisch. Jedoch hat die grosse Mehrheit der Spitex-Organisationen (74 Prozent) kein darüber hinaus gehendes E-Health-Projekt lanciert. Grundsätzlich zeigt sich bei den Organisationen in der Dimension "Kultur" die geringste Bereitschaftsausprägung. Am besten schneiden die Organisationen in den Bereichen ab, die nur indirekt im Zusammenhang mit dem EPD stehen, aber durch ihre Reife eine gewisse Bereitschaft vermuten lassen. Dazu gehören ein hoher Stellenwert digitaler Technologien, ein gereifter Datenschutz und die enge Zusammenarbeit mit dem Anbieter der verwendeten Pflegesoftware. Dies weist auf eine allgemein solide Basis für die Einführung des EPD hin. Es sind vor allem die wenig konkreten Schritte in Richtung EPD, welche die Bereitschaft schmälern. So haben sich erst rund zwei Drittel aller Spitex-Organisationen überhaupt mit dem EPD auseinandergesetzt.

 

Indikatoren und Hinweise für den Bereitschaftsgrad

Kaum überraschend bedarf die EPD-Bereitschaft einer positiven Grundeinstellung des Managements, um innerhalb der Spitex erfolgreich vorangetrieben zu werden. Die kulturelle Bereitschaft ist ein deutliches Indiz dafür, wie weit eine Spitex in Sachen E-Health fortgeschritten ist. Denn der Anschluss ans EPD erfordert erhebliche Aufwände, wie die Einbindung von Primärsystemen, die Anpassung von Prozessen oder die Schulung von Mitarbeitenden. Keinen feststellbaren Einfluss auf die Bereitschaft haben hingegen die Grösse der Organisation und die Organisationsform einer Spitex. Obwohl gemeinnützige und öffentlich-rechtliche Organisationen im Mittel leicht besser als erwerbswirtschaftliche abschneiden, kann kein signifikanter Zusammenhang zwischen dem Bereitschaftsgrad und der Organisationsform festgehalten werden. Die befragten Experten führen das leicht bessere Abschneiden der öffentlich-rechtlichen Einrichtungen auf die relative Nähe der gemeinnützigen Organisationen zur politischen Diskussion um das EPD zurück. Diese Spitex-Organisationen erhielten finanzielle Mittel vorwiegend von der öffentlichen Hand und seien daher eher zur EPD-Einführung bereit. Zudem seien sie stärker dem öffentlichen Interesse einer breiten EPD-Unterstützung verpflichtet. Auch scheinen kantonale Unterschiede mit dem Engagement der dort tätigen E-Health- beziehungsweise EPD-Vereine verbunden zu sein.

 

Fazit

Die Spitex-Organisationen verfügen im Allgemeinen über eine solide Basis für die Einführung des EPD, auch wenn in einzelnen Fällen die elektronische Pflege noch wenig etabliert ist. Der ermittelte Bereitschaftsgrad von 60 Prozent reflektiert diese solide Grundlage, zeigt aber auch klare Rückstände bezüglich konkreter Schritte für eine erhöhte Bereitschaft auf. So sind die Organisationen, die bereits erste konkrete Schritte in Richtung EPD unternommen haben oder gar bereits zählbare Resultate aufweisen können, in der untersuchten Population stark untervertreten. Die für das EPD zuständigen Stammgemeinschaften, Spitex-Dachverbände und andere unterstützende Vereine des EPD stehen hier in der Pflicht, den Spitex-Organisationen das Potenzial anhand von Anwendungsbeispielen "Best Practices" aufzuzeigen. Auch können diese Dachverbände und Stammgemeinschaften dem Wissenstransfer unter den Organisationen eine Plattform bieten und den sektorenübergreifenden Austausch aktiv fördern. So kann ein interorganisationales Verständnis geschaffen und ein Bewusstsein für die Rolle des EPD als "Daten­drehscheibe" zwischen den Institutionen gefördert werden.

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