Focus: Elektronisches Patientendossier

Und jetzt noch eine Investition in die patientenzentrierte Zusammenarbeit

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von Adrian Schmid, Präsident IHE Suisse, Leiter eHealth Suisse (2008-2022).

Das EPD wird sich in den nächsten Jahren durchsetzen – aus Patientensicht muss es sich durchsetzen. Die Einführung gelingt einfacher, wenn gleichzeitig in eine bessere Kultur der Zusammenarbeit unter Ärzten, Apothekern, Pflegenden oder Therapeuten investiert wird.

Adrian Schmid, Präsident IHE Suisse, Leiter eHealth Suisse (2008-2022). (Source: zVg)
Adrian Schmid, Präsident IHE Suisse, Leiter eHealth Suisse (2008-2022). (Source: zVg)

Der Selbstversuch sollte es zeigen. Bringt ein elektronisches Patientendossier in der Tat keinen Nutzen? Frage und Antwort waren relevant – in meiner damaligen Rolle als Leiter von eHealth Suisse und «nationaler Koordinator» der EPD-Einführung. Der Erfolg des EPD hänge davon ab, ob es den Patientinnen und Patienten einen Nutzen bringe, lassen sich Ärztevertreter in den Medien oft zitieren. Davon sei dieses aber noch weit entfernt. Mit solchen Aussagen im Ohr habe ich nach einer Operation – und vor der Nachbehandlung – den Austrittsbericht des Spitals inklusive Operationsbericht per Mail meiner Physiotherapeutin und meinem Chiropraktiker zugestellt. «Habt ihr die Dokumente angeschaut», wollte ich wissen. «Das haben wir», lautete die Antwort von beiden, «leider bekommen wir diese Informationen sehr selten.» Der Inhalt helfe, das Problem besser zu verstehen und die Therapie exakter auf mich abzustimmen. Dass die Berichte als PDF-Dokument daherkamen, hat nicht gestört – wichtig sei die Information, nicht das Format.

Die Ärzteschaft unterschätzt den Nutzen

Die medienwirksame Erzählung vom «fehlenden Nutzen» wird vor allem von der Ärzteschaft gepflegt. Andere Berufsgruppen sagen das kaum. Das hat auch damit zu tun, dass die Ärztinnen und Ärzte heute sehr gut mit Informationen versorgt werden. Wenn eine Hausärztin einen Patienten ins Spital oder zu einem Spezialarzt überweist, wird sie nach Abschluss der Behandlung in der Regel direkt informiert und dokumentiert. Früher per Brief und Fax, heute meistens per Mail. Es erstaunt deshalb nicht, wenn ein Hausarzt im Interview sagt: «80 bis 90 Prozent meiner Tätigkeit findet keinen Niederschlag im EPD.» 

Bei solchen Aussagen wird das Informationsdefizit der anderen Behandelnden ausgeblendet. Der Spitalaustrittsbericht im Mail-Postfach der Arztpraxis ist wichtig. Die Informationen im Austrittsbericht sind aber ebenso relevant für die Apothekerin, den Physiotherapeuten, die Spitex-Mitarbeiterin oder die Psychologin. Oft haben sie nach einem Spitalaustritt früher Kontakt mit einem Patienten oder einer Patientin als der Hausarzt. Für die Qualität der Behandlung ist es deshalb notwendig, dass sie die Medikation, die Diagnosen oder die aktuellen Probleme kennen. Das ist eines der wichtigsten Ziele des EPD.

Patientenwohl statt Eigeninteresse

Leider ist das Verständnis für eine patientenzentrierte Zusammenarbeit aller Akteure im Gesundheitswesen bescheiden. Es dominiert die Sicht auf eigene Interessen oder auf das engere Umfeld. Die Folge sind Passivität und Netzwerke mit beschränkter Reichweite – und somit für Patientinnen und Patienten immer neue Bruchstellen in der Behandlung.

Die Feststellung zur fehlenden Kultur der Zusammenarbeit ist kein Vorwurf, sondern eben eine Feststellung. Die Politik hat es versäumt, Rahmenbedingungen oder Tarifanreize zu setzen, die den ganzheitlichen Nutzen aus Patientenoptik ins Zentrum stellen. In der palliativen Versorgung ist die interprofessionelle Zusammenarbeit in der Behandlung teilweise etabliert, nicht so bei der integrierten Versorgung – und dem eng damit verbunden schweizweiten Patientendossier. Das nationale EPD-Gesetz ist aktuell in einer Revision. Damit öffnet sich ein Zeit- und Handlungsfenster, um nachhaltig in die patientenzentrierte Kultur der Zusammenarbeit zu investieren. Den Menschen mit einem EPD würde es helfen.

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