Blick zurück, Blick voraus

Die Blockchain-Highlights und was noch auf uns zukommt

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von Nicola Schlup, Managing Director, Nexum

Obschon es in den ersten Monaten des Jahres ruhiger um die Blockchain-Technologie geworden ist, hat sich im Hintergrund doch einiges getan. Nicola Schlup, Managing Director von Nexum, gewährt einen Einblick in die Geschehnisse des ersten Halbjahrs und zeigt auf, was in der zweiten Jahreshälfte auf uns zukommen kann.

Nicola Schlup, Managing Director, Nexum (Source: zVg)
Nicola Schlup, Managing Director, Nexum (Source: zVg)

Hat Facebook mit der Ankündigung seiner eigenen Blockchain-Währung Libra noch im Juli für einen Kursanstieg bei Bitcoin gesorgt, so wirken sich nun die turbulenten Geschehnisse und Unsicherheiten an den weltweiten Börsen auf den Kurs von Bitcoin und Co. aus. Dass der Goldkurs bei steigenden Marktunsicherheiten wächst, ist eine Binsenweisheit. Es stellt sich nun die Frage, ob Bitcoin, der wegen seiner begrenzten Verfügbarkeit gerne auch als "digitales Gold" bezeichnet wird, mittel- und langfristig von diesen Unsicherheiten profitieren kann oder für viele Anleger doch über zu viel Volatilität verfügt. Zuletzt stieg der Wert eines Bitcoins seit Januar zeitweise um mehr als das Doppelte an.

Initial Coin Offerings und die Ruhe nach dem Sturm

Wurden in der zweiten Jahreshälfte des vergangenen Jahres 4,1 Milliarden US-Dollar über Initial Coin Offerings (ICO) gesammelt, so waren es im ersten Halbjahr des laufenden Jahres gerade noch 2,6 Milliarden Dollar. Das Volumen der via ICO gesammelten Gelder nimmt weiter ab und entfernt sich immer mehr vom Hype-Jahr 2017, als im selben Zeitraum über 5,3 Milliarden Dollar für die Finanzierung neuer Blockchain-Vorhaben eingesammelt wurden.

Da hohe Finanzierungssummen für neue Projekte nicht automatisch grösseren Erfolg versprechen, sollen diese Zahlen jedoch nicht als Qualitätsaussage über neu lancierte Projekte interpretiert werden. So haben vergangene Projekte mit überdurchschnittlicher Finanzierung auch schon dazu geführt, dass sich die Initiatoren vor lauter Geldsegen verzettelt und zerstritten haben. Die gute Nachricht: Diese Konflikte haben offenbar dazu geführt, dass sich im Zusammenhang mit Blockchain-Finanzierungen die Zeichen einer Gesundung verdichten und eine steigende Sensibilität für technologische und unternehmerische Risiken feststellbar ist.

Virtuelle Shares werden zu echten Unternehmensanteilen

Modum.io hat während des ICO-Hypes 2017 mittels desselben Verfahrens über 13 Millionen Dollar von Investoren, Spekulanten und Enthusiasten gesammelt. Die dadurch verteilten Tokens hatten jedoch nicht, wie sonst oftmals üblich, einen "Nutzen" auf der Blockchain, sondern versprachen ihren Besitzern Dividenden und Stimmrechte, ohne Shareholder der dahinterliegenden Gesellschaft zu werden. Zwei Jahre, viele Regulierungen, Kursstürze und Verbannungen von den gängigsten Blockchain-Börsen später ergriff Modum die Flucht nach vorne und bot als eine der weltweit ersten Unternehmen ihren Token-Besitzern die Umwandlung von Tokens in echte Shares an.

Noch im September dieses Jahres hätten die Token-Besitzer darüber abstimmen sollen, ob sie sich auf diesen Tausch einlassen. Innerhalb der Community fand der sogenannte Token-Swap grundsätzlich Anklang und hätte als Blaupause für andere Asset-Tokens dienen können. Für rote Köpfe sorgte jedoch der Unternehmensanteil, der den Token-Besitzern angeboten wurde: 16,21 Prozent der Gesellschaft bot das Management an. Für viele Investoren und Spekulanten, denen bisher 100 Prozent der Dividende versprochen wurden, ein kaum diskutabler Vorschlag. Nach hitzigen Diskussionen im Instant-Messaging-Dienst Telegram annullierte der Verwaltungsrat die Abstimmung kurzerhand. In den nächsten Monaten soll ein neuer Vorschlag erarbeitet werden, der die Finanzierung des Vorhabens über den Verkauf von Shares ausserhalb der Blockchain ermöglicht. Ob ein Token-Swap weiterhin als gangbarer Weg betrachtet wird, ist derzeit offen.

Nur innovativer Anstrich oder doch wahrer Technologieglaube?

Auch nach Abflachen des Blockchain-Hypes im vergangenen Jahr tauchen immer wieder Grosskonzerne auf, die sich mit der Blockchain-Technologie in Verbindung bringen. Hier stellt sich die Frage, ob es sich primär um Spätzünder handelt, die sich zu den Hype-Zeiten profilieren wollen, oder ob in den Konzernen tatsächlicher Technologieglaube vorherrscht. So hat Nestlé zu Beginn des Jahres gemeldet, der Nahrungsmittelkonzern wolle mittels Blockchain die korrekte Rückverfolgbarkeit von Lebensmitteln bis hin zur Ernte sicherstellen. Wie dabei das altbekannte Problem des Medienbruches gelöst werden soll, ist nicht bekannt. Denn nur wenn verlässlich verifizierte Daten in die Blockchain gelangen, kann die Rückverfolgbarkeit sichergestellt werden. Auch Pfizer hat kürzlich ein Blockchain-Projekt angekündigt, mit dem Ziel, die pharmazeutische Lieferkette zu optimieren.

Weiterhin bleibt offen, wie viele Unternehmen tatsächlich an die Technologie glauben und wie viele sich lediglich einen innovativen Anstrich geben möchten. Um die Technologie hinsichtlich Skalierbarkeit und Praxis­tauglichkeit weiterzuentwickeln, braucht es sicherlich auch eine gesunde Brise heisse Luft, die für Aufmerksamkeit, wachsende Budgets und zusätzliche Programmierer sorgt. Doch je ruhiger es um den Hype wird, desto lauter werden die Rufe nach echtem Nutzen, der noch immer hängig ist.

Beliebtes Angriffsziel

Zentrale Blockchain-Börsen, die den Handel mit Tokens ermöglichen, sind nach wie vor ein beliebtes Angriffsziel für Hacker. Token-Besitzer, die dort ihre digitalen Güter lagern, bescheren Hackern regelmässige Geldspritzen. Alleine aus Nordkorea sollen Cyberkriminelle gemäss einem UN-Bericht bis zu 2 Milliarden Dollar erbeutet haben.

Da die verbreitetsten Blockchain-Börsen zentralisiert betrieben werden und viele Trader diesen ihren digitalen Schlüssel für den Handel übertragen, ergibt sich ein lukratives Angriffsziel. Dabei wäre es ein Leichtes sich zu schützen – zum Beispiel indem Nutzer ihre Tokens, beziehungsweise den dazugehörigen Private Key, auf einem sogenannten Hardware Wallet (zum Beispiel Ledger Nano S) und nicht einer Börse aufbewahren.

Volatile Bewertungen und Konkurse

Nach intensiven Abwertungen Anfang 2018 steigt die Marktkapitalisierung seit dem zweiten Quartal dieses Jahres wieder an. Insbesondere die Projekte in den Top 10 konnten in den vergangenen Monaten zum Teil kräftig zulegen, wobei die Marktdominanz von Bitcoin weiter steigt. So übertrumpft der Bitcoin den zweitplatzierten Ethereum, gemessen an der Marktkapitalisierung, mit dem Faktor acht. Umso erstaunlicher, ist, dass der Bitcoin gegenüber Ethereum und anderen Blockchains keinen Nutzen abseits seines Rufes als "digitales Gold" verspricht, wobei echtes Gold wesentlich einfacher in gängige Währungen umgetauscht werden kann.

Die mittels ICO finanzierten Projekte auf Ethereum und Co. scheinen derzeit grösstenteils noch von den eingesammelten Geldern zehren zu können. So ist die Anzahl der bekannten Konkurse überschaubar gering und deutet darauf hin, dass vielerorts die eingesammelten Tokens frühzeitig gegen sogenannte Fiat-Währungen, also uns gängige Währungen wie Franken und Euro, eingetauscht wurden. Die einzelnen Token-Bewertungen, die grösstenteils schwere Kursverluste erlitten haben, sind somit kurz- und mittelfristig nebensächlich und die Unternehmer hinter den Projekten können sich um den Aufbau ihrer Start-ups kümmern. Dabei gilt es, die aus dem klassischen Start-up-Geschäft bekannten 10 Prozent zu erreichen, die aus dem Start-up-Alter herauswachsen und gedeihen können. So werden wir uns noch einige Jahre gedulden müssen, um den Erfolg oder Misserfolg von Blockchain-Projekten objektiv beurteilen zu können.

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