"Wir entwickeln unsere Branchenlösung selbst weiter"
Ende 2012 verliess Marc Besson die Welt der Bankeninformatik, um die IT von Visilab zu leiten. Mittlerweile hat das Unternehmen den branchenspezifischen Teil seines ERP-Systems zurückgekauft, um ihn intern weiterzuentwickeln.

Herr Besson, Sie haben viele Jahre in einer Privatbank gearbeitet, bevor Sie zum Optikunternehmen wechselten. Was ist Ihnen als Erstes aufgefallen?
Grundsätzlich ist mir die Leistungsfähigkeit des Unternehmens aufgefallen. Die Welt des Handels hat weder die Margen noch die Budgets der Privatbanken. Das zwingt uns dazu, kreative Lösungen zu finden. Andererseits ist der Sektor viel weniger Beschränkungen und Regulierungen unterworfen als die Bankenwelt. Dort wirken diese als ein Hauptmotor der IT. Wir konzentrieren uns dafür viel stärker auf die Betreuung der 87 Ladengeschäfte der Gruppe, von denen sich gewisse in Bahnhöfen und Flughäfen befinden und 365 Tage im Jahr offen sind. Für ein kleines Team stellt dies eine sehr anspruchsvolle Betreuungsaufgabe dar.
Welche Bedeutung kommt der IT in einem Unternehmen wie Visilab zu?
Die Bedeutung wächst stetig. Die Abhängigkeit der Ladengeschäfte von der IT ist extrem gross geworden. Unsere Mitarbeiter sind zwar noch imstande, Brillen ohne IT zu verkaufen, aber es wird immer schwieriger. Die Informatikabteilung ist übrigens die grösste Abteilung des Hauptsitzes. Die Mitarbeiterzahl ist in den letzten drei Jahren von 4 auf 21 gestiegen, davon ist einer ein Lehrling.
Wie lässt sich ein solches Wachstum erklären?
Der Hauptreiber dieser Entwicklung war die strategische Entscheidung, den Quellcode des Branchenmoduls unseres ERP-Systems – wir sind die einzigen Anwender – aufzukaufen und seine Weiterentwicklung selbst sicherzustellen. Mit dieser Vorgehensweise schwammen wir gegen den Strom. Wir trafen diese Entscheidung, weil wir auf dem Markt kein Produkt fanden, das unserer Branche, unseren finanziellen Mitteln und landesspezifischen Eigenschaften wie die Mehrsprachigkeit entsprach. Nun haben wir also zwei parallele ERP-Systeme. Mit dem Standard-ERP verwalten wir die Buchhaltungs- und Finanzprozesse, und mit dem anderen die branchenspezifischen.
Welche Funktionen umfasst das branchenspezifische ERP-System?
Das branchenspezifische System deckt alle Prozesse ab, die mit dem Verkauf, der Kasse und der Lieferkette unserer Zentrale zusammenhängen. Wir wickeln über das System auch unseren intensiven elektronischen Datenaustausch mit unseren Zulieferern ab, nicht zuletzt für die Bestellung der Gläser. Die Lösung dient uns auch als CRM und umfasst Kundendaten, mit denen die Entwicklung der Sehkraft der Kunden und die getätigten Einkäufe zurückverfolgt werden können. Das ist für unser Unternehmen ein strategisches Werkzeug.
Wie möchten Sie künftig das System weiterentwickeln?
Als ich zu Visilab kam, war die Übernahme der Plattform, die insgesamt 18 Monate in Anspruch nahm, fast abgeschlossen. Allerdings musste der Implementierung der Plattform noch der letzte Schliff gegeben werden. Gegenwärtig sind wir wieder imstande, einen Wertbeitrag an die Ladengeschäfte zu leisten. Seit Anfang des Jahres befinden wir uns in einer Phase, in der wir das System mit neuen Funktionalitäten ausstatten. Wir werden demnächst ein Modul für die Kontaktlinsen anbringen, das mit den Untersuchungsgeräten der Optometriker zusammenspielt und in ein Kamerasystem integriert werden kann. Es geht also darum, die Aufnahmen zu speichern und sie für die Kundenberatung zur Verfügung zu haben.
Sie verfügen also über ein eigenes Entwicklungsteam?
In der Tat, meine Abteilung erfüllt sämtliche IT-Aufgaben von Visilab. Wir haben einen Entwicklungs-, einen Verwaltungs-, einen Business-Intelligence- und einen Reporting-Bereich, einen Infrastrukturbereich (Server und Netzwerk) und einen Bereich für die Betreuung der Ladengeschäfte. Letzterer fungiert von Genf aus ausserdem als Helpdesk und Techniksupport für sämtliche Läden. Unsere Mitarbeiter müssen also unter Umständen den Weg bis nach Chur auf sich nehmen. Anfang des Jahres haben wir allerdings unser Support-Modell überarbeitet und gewisse Aufgaben den Ladenmitarbeitern übertragen. Es findet sich immer jemand, der imstande ist, einen PC anzuschliessen. Den Rest der Installationen können wir machen, ohne vor Ort zu sein. Wir nutzen auch die Infrastruktur unserer Lieferkette aus, indem wir die IT-Ersatzteile mit den Lastern mitschicken, die jede Nacht unsere Verkaufsstellen mit Brillengestellen oder Gläsern beliefern.
Sie haben die Läden erwähnt, die 365 Tage pro Jahr offen sind. Welche Anforderungen stellen diese an Ihre Infrastruktur?
Wir verbessern gegenwärtig unseren Business-Continuity-Prozess, um den neuen Anforderungen gerecht zu werden. Unsere Ladengeschäfte können im Falle einer Störung bereits autonom funktionieren, weil sie über eine eigene Basisinfrastruktur mit eigenen Server verfügen. Mit der technischen Entwicklung werden diese Läden von den zentralen Funktionen immer abhängiger, gerade beim Zahlungsverkehr mit Kreditkarten, bei den Bestellungen und für alles, was Web und E-Mail-Versand betrifft. Die Infrastrukturen an unserem Hauptssitz in Meyrin sind also ein "Single Point of Failure" geworden, weil sich alles dort konzentriert. Deshalb haben wir auch ein redundantes System für unsere kritischsten Bereiche auf die Beine gestellt. Damit können wir eine Kontinuität der Aktivitäten in den Läden sicherstellen. Das Projekt sollte bis Ende des Jahres abgeschlossen sein und Neuerungen umfassen, die sich nach unserem Budget richten. Wir sind gegen Feuer und gegen die Nichtverfügbarkeit unseres zentralen Rechenzentrums versichert. Wir sind jedoch nicht gegen exogene Risiken wie Chemieunfälle oder Flugzeugabstürze, die den Standort vollständig unbrauchbar machen würden, abgesichert. Anstatt in ein entferntes Rechenzentrum zu ziehen, wie es die Best Practices empfehlen, werden wir ein neues Center in Form eines Containers auf dem gegenwärtigen Standort errichten. Wir haben uns für diese Alternative aufgrund der Telekommunikationskosten entschieden. Diese würden nämlich sehr hoch ausfallen, wenn wir zwei voneinander entfernte Standorte miteinander verbinden müssten.
Ist der Erhalt dieser Infrastruktur sehr kostspielig? Welche Budgetposten fallen am höchsten aus?
Der Erhalt der Infrastruktur ist nicht sehr kostspielig. Wie überall geben wir am meisten für die Löhne aus. Bei den Innovationen investieren wir am meisten in neue Projekte, besonders in unser branchenspezifisches ERP-System, in dessen Entwicklung und in die Beratungstätigkeit. Bei den generellen Kosten geben wir am meisten für Lizenzen und Wartungsarbeiten aus. Gegenwärtig setzt sich unser Budget aufgrund unserer grossen laufenden Projekte mehr oder weniger aus gleich grossen Teilen zwischen dem "Run" und dem "Change" zusammen. Dies zeigt die Bedeutung von Wandel für ein Unternehmen wie unseres klar auf.
Sei es nun in Bezug auf das ERP-System oder die Infrastruktur, Sie scheinen insgesamt stark auf Insourcing zu setzen.
Ja, wir nehmen gegenwärtig eher Inhouse-Lösungen in Anspruch. Dabei handelt es sich aber nicht um eine definitive Unternehmensentscheidung. Unsere Herangehensweise basiert eher auf einer Bedürfnisanalyse. Gewisse Dienstleistungen vertrauen wir auch Externen an, wie beispielsweise die Entwicklung und das Hosting unserer Website. Wir haben auch ein Kommunikationssystem auf die Beine gestellt. Dieses verwaltet die Gesamtheit des Informationsflusses mit unseren Kunden, wie die Mailings und die personalisierten Kampagnen, und ist in der Cloud untergebracht.
Sprechen wir vom Webbereich. Planen Sie neue Dienstleistungen, zum Beispiel einen Onlineshop für Brillen?
Nein, der Wertbeitrag des Optikers ist gegenwärtig noch zu wichtig für die Einkaufserfahrung und für die Anpassung der Brillen und Linsen. Das hindert uns jedoch nicht daran, unseren Webauftritt weiterzuentwickeln. Seit einigen Wochen bieten wir beispielsweise die virtuelle Anprobe von Brillen via Webcam an. Damit wollen wir den Kunden bei seiner Suche unterstützen. Der Kunde kann anschliessend diese Information seinem Optiker zukommen lassen. Wir bieten auf unserer Website auch ein System für die Terminvereinbarung an. Genauso wenig wie ein Onlineshop wollen wir eine Aftersale-Dienstleistung durch die Post anbieten. Da all unsere Läden mit Labors ausgestattet sind, können wir eine sofortige Dienstleistung vor Ort anbieten.
Wohin geht die IT-Innovation im Bereich der Optik: Eher in Richtung operationelle Leistungsfähigkeit oder eher in Richtung neuer Kundendienstleistungen?
Die IT-Innovationen gehen definitiv in beide Richtungen. Sie betreffen die Logistik, aber auch die digitalen Kanäle und die Verkaufsprozesse. Wir profitieren auch von der Erfahrung anderer Märkte dank unseres engen Kontakts mit der Optikgruppe Grandvision, die 4900 Optikläden in der ganzen Welt hat. Dies ermöglicht es uns, zentrale Entwicklungsbereiche zu identifizieren und neue Lösungen vorzuschlagen.
Worin besteht die logistische Herausforderung, ein Netz von 87 Läden zu beliefern?
Die Komplexität ist hoch, denn wir unterliegen starken saisonalen Schwankungen. Die Brille ist ein Modeaccessoire. Gewisse Gestelle sind von Designern oder grossen Modemachern entworfen. Wir arbeiten daher eng mit unseren Zulieferern im elektronischen Datenaustausch zusammen, um unsere Lager schnell aufstocken zu können und gewissen Entwicklungen zuvorzukommen. Dasselbe gilt für unsere Gläserzulieferer, die unsere Bestellungen elektronisch erhalten. Diese sind imstande, eine Produktion 30 Minuten nach Erhalt der Bestellung zu starten. Wir werden dann über den laufenden Prozess informiert, sodass unsere Optiker wiederum die Kunden über die Lieferfristen der Brillen in Kenntnis setzen können. Wir arbeiten ausserdem mit Grandvision an einem Standard für elektronischen Datenaustausch, der auf die Optikwelt zugeschnitten ist.
Benötigen die Ladengeschäfte besondere IT-Einrichtungen?
In den Läden setzen die Mitarbeiter vor allem Notebooks ein. Diese werden einerseits beim Verkauf und bei der Kasse verwendet. Andererseits nutzen auch die Labors Computer bei der Herstellung der Brillen. Unsere Labors schneiden und schleifen die Gläser selbst, um die Brillen innerhalb einer Stunde herstellen zu können. Diese Aufgaben erfordern spezielle berufsspezifische Software und Werkzeugmaschinen. Allerdings wird dieser Bereich nicht von der IT verwaltet, sondern von einer separaten Abteilung. All die Lösungen laufen indes auf Windows und sind in unser Netzwerk integriert.
Sind Sie in ihrer gegenwärtigen Funktion näher am Geschäft und an der Unternehmensstrategie als früher?
Eine Firma wie Visilab hat einen starken Unternehmenscharakter und wir sind in stetigem Kontakt mit den Läden. Die Verwaltungsphilosophie beruht auf einem Konzept der Autonomie ganz im Unterschied zur Bank, wo mehr Beschränkungen bestehen und ein relativ rigider normativer Rahmen die Prozesse bestimmt. Allerdings besteht auch in einer Privatbank eine grosse Nähe zum Geschäft, insbesondere im Bereich der Sicherheit, um die ich mich früher gekümmert habe. Es stimmt aber schon, dass bei Visilab die Beziehung zum Geschäft anders ist. Sie ist mehr auf die Innovation und die Wertschöpfung ausgerichtet und weniger auf den Schutz.
Sind Sie in Ihren Entscheidungen freier?
Ja, sehr viel freier, aber ich werde auch viel stärker gefordert. Wir müssen stets die optimale Lösung bieten und dies sowohl in funktionaler Hinsicht als auch in Bezug auf das Budget. Das schliesst bezeichnenderweise auch das Material mit ein, das wir an die Läden liefern. Wir müssen stets das preiswerteste Angebot des Marktes finden. Der erste Reflex unserer Filialleiter, die selbst einem Budgetdruck ausgesetzt sind, ist dann auch, unseren Preis mit jenem der spezialisierten Ketten und des Internets zu vergleichen.
Zur Person
Marc Besson hat zehn Jahre als Revisor von Informatiksystemen und als Berater für grosse Unternehmensberatungen – Arthur Andersen, Bearingpoint – gearbeitet, bevor er beruflich umsattelte und die Position des Beratungsverantwortlichen und des CIOs des auf Sicherheit spezialisierten Start-ups Wisekey übernahm. Er arbeitete darauf fünf Jahre für die Union Bancaire Privée zunächst als Verantwortlicher der IT-Architektur, dann als Verantwortlicher des Project Management Office und schliesslich als Sicherheitsverantwortlicher. Besson wurde im November 2012 zum CIO von Visilab berufen und mit dem Abschluss der Integration des Inhouse-ERP-Systems und der Entwicklung neuer Lösungen für die Ladengeschäfte beauftragt. Er hat einen Master in Informatik der Universität Genf und bildete sich im Bereich des Controllings, der Sicherheit und der Corporate Governance of ICT weiter. Er ist Lehrbeauftragter für den Master "Risk Management" der Universität Genf. Marc Besson ist 41 Jahre alt. Er lebt in einer Beziehung und hat zwei Kinder.
Über das Unternehmen
Das Optikunternehmen Visilab, eine Filiale der PP Holding Gruppe, wurde 1988 gegründet. Das Unternehmen fertigt Brillen direkt vor Ort innerhalb einer Stunde. Der Umsatz von Visilab betrug 2012 207 Millionen Franken. Das Unternehmen beschäftigt 830 Personen, darunter 152 Lehrlinge. Der Marktanteil von Visilab im Bereich der Optik beläuft sich in der Schweiz auf 26 Prozent. Zum Unternehmen zählen 65 Visilab-Filialen sowie 22 Läden von Kochoptik.

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