Erste Fintech+ im Zeichen der künstlichen Intelligenz

Was KI der Finanzbranche bringt – und wo sie noch dazulernen muss

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Tor zu "Big Data" oder "Statistik auf Steroiden"? Die erste Fintech+ drehte sich um das Thema KI. Besucher erfuhren aus verschiedenen Perspektiven, wo die Technologie in der Finanzwelt zum Einsatz kommen kann und wo ihr im Unternehmensalltag noch Grenzen gesetzt sind.

Gero Gunkel, Group Head of AI von Zurich Insurance, berichtete vom Einsatz von KI bei der Versicherung. (Source: Netzmedien)
Gero Gunkel, Group Head of AI von Zurich Insurance, berichtete vom Einsatz von KI bei der Versicherung. (Source: Netzmedien)

Drei Perspektiven auf das Thema künstliche Intelligenz (KI) haben die Besucher auf der ersten Fintech+ kennengelernt: Die des Hardware-Anbieters, die des Finanzdienstleisters und die des Internet-Giganten. Damit verfolgte die Veranstaltung das Ziel, im breiten Feld der Fintech-Themen auf einen Aspekt zu fokussieren, wie John Hucker zum Auftakt am Montagmorgen sagte. Ein weiteres Ziel der Fintech+ bestehe darin, Anbieter aus dem Ausland mit der Schweizer Finanzbranche zusammenzubringen und so Ökosysteme anzuregen, sagte der Präsident der Swiss Finance + Technology Association (SFTA).

Neuronale Netze für Banken und Versicherungen

Als erster Referent der Fintech+ betrat Marc Stampfli, Country Sales Manager von Nvidia, die Bühne. Er zeigte, weshalb das US-Unternehmen beim Thema KI auf die Technologie der "Neural Networks" setzt und was die Finanzbranche davon hat. Lange hätten Finanzdienstleister auf klassische Machine-Learning-Algorithmen gesetzt, sagte Stampfli, etwa bei der Handschriftenerkennung. In den letzten Jahren habe allerdings die Leistungsfähigkeit der Neural Networks zugenommen, bei denen das Funktionsprinzip der Neuronen im Gehirn auf KI-Systeme übertragen werde.

Die Resultate von Neural Networks seien mit der Zunahme der Datenmenge immer besser geworden und hätten andere KI-Methoden schliesslich überholt, sagte Stampfli. Das Problem bestehe darin, das parallel auch der Bedarf an Rechenleistung stark gestiegen sei, traditionelle PC-Prozessoren diese aber nicht zur Verfügung stellten. Hier brachte Stampfli Nvidia ins Spiel. Die Chips des Herstellers, ursprünglich für die 3-D-Grafik von Computerspielen konzipiert, eigneten sich einer hohen Zahl von Prozessor-Kernen besonders für die Berechnung von Neural Networks.

Marc Stampfli stellte Anwendungsgebiete von KI in der Finanzbranche vor. (Source: Netzmedien)

Stampfli stellte eine ganze Reihe von Einsatzgebieten für Neural Networks in der Finanzbranche vor. Mit ihnen liessen sich etwa Marktdaten analysieren, Betrugsversuche erkennen, Telefonanrufe in Echtzeit auf Compliance überprüfen oder Schäden an Autos einschätzen.

KI als Berichtprüfer und Risikomanager

Die Perspektive der Anwender von KI an der Fintech+ vertrat Gero Gunkel. Der Group Head of AI bei Zurich Insurance plädierte gleich von Beginn weg für einen ausgewogenen Blick auf die Stärken und Schwächen der Technologie. Zurich habe sich bereits früh mit dem Thema KI befasst. Sie seien deswegen anfangs als "Weirdos" angesehen worden, sagte Gunkel. Heute finde dagegen eine Inflation der Erwartungen statt, nicht zuletzt durch sensationell anmutende Medienberichte.

Gunkel stellte zwei Projekte mit KI-Technik vor. Erstens habe Zurich KI zur Auswertung von medizinischen Berichten eingesetzt. Das Unternehmen habe hier bewusst einen Prozess ausgewählt, der für die Algorithmen anspruchsvoll sei, um deren Potenzial zu testen. Das Resultat sei überzeugend gewesen. Wo ein Mensch bislang im Durchschnitt eine gute Stunde für das Review brauche, sei die KI in 5 Sekunden fertig. Zurich könne so Geld und Zeit sparen, und die Qualität sei erst noch besser.

Das zweite Projekt habe bei der Risikobewertung von künftigen Grosskunden stattgefunden, sagte Gunkel. Die Versicherung müsse hier aufwändige Recherchen durchführen, bevor ein Vertrag abgeschlossen werden könne. KI unterstütze diesen Vorgang, indem sie automatisch Internetquellen durchforste und anschliessend auf einer Ampel das Risiko in den Farben grün, gelb oder rot darstelle.

Wie KI auch mal danebenliegen kann, demonstrierte Gero Gunkel. (Source: Netzmedien)

Was Unternehmen bei der KI-Beschaffung beachten sollten

Was lernte Zurich aus diesen Pilotprojekten? Es gebe erstens kein Schweizer-KI-Sackmesser für alle Probleme, sagte Gunkel. Ein Unternehmen komme nicht darum herum, einen auf seine Bedürfnisse und Prozesse zugeschnittenen Technologie-Stack zusammenzustellen. Das bedeute viel Arbeit, aber man müsse sie auf sich nehmen.

Zweitens sei es ratsam, Prototypen von verschiedenen Anbietern zu prüfen und dabei eine möglichst harte Aufgabe zu stellen. Nur so sei ein effektiver Vergleich zwischen den Lösungen möglich. Und nur durch diese Konkurrenz könne man sicherstellen, dass alle Anbieter wirklich ihr Bestes geben, fügte Gunkel an.

Drittens benötige ein KI-Projekt durchdachtes Change Management, damit Mitarbeiter mit den neuen Tools arbeiten könnten. Das heisst, die Auswirkungen der Automatisierung im Unternehmen dürfen nicht verharmlost werden, wie Gunkel betonte. Es müsse ehrlich kommuniziert werden, was die KI übernehme und wo in Zukunft die Aufgaben des Menschen lägen. Seine Erfahrung sei es, dass Mitarbeiter es in der Regel begrüssten, wenn ihnen der Computer mühsame, repetitive Aufgaben abnehme.

Von links: Am Insurtech Panel diskutierten John Hucker (SFTA), Evangelos Avramakis (Swiss Re), Alexander Bojer (Anivo) und Gero Gunkel (Zurich) über die Trends der Branche. (Source: Netzmedien)

Wenn die KI ins Schlingern gerät

Nicht zuletzt müssten sich Unternehmen den Grenzen der KI-Technik bewusst sein, sagte Gunkel. Die Fortschritte der letzten Jahre seien zweifellos vorhanden, die Medienberichte darüber hätten allerdings überzogene Erwartungen geschürt. Das die Computer-Intelligenz schon bald mit der menschlichen Intelligenz gleichziehe, halte er für übertrieben.

Erstens seien KI-Algorithmen nur so gut, wie die ihnen zugrunde liegenden Daten. Zweitens könne KI nur in hochspezialisierten Fällen ihre Kompetenzen richtig ausspielen. Ausserhalb dieser Szenarien sei jedes Kleinkind um Welten besser. Dieses erkenne einen Elefanten bereits beim zweiten Mal, ein Algorithmus zur Bilderkennung brauche hunderte von Lernbeispielen. Drittens - und für die Finanzbranche besonders brisant - lasse sich KI relativ leicht in die Irre führen.

Für den Menschen unsichtbare Manipulationen an Bilddateien könnten Algorithmen zu völlig falschen Ergebnissen verleiten. So wird aus einem Panda auch schon mal ein Bonobo, wie Gunkel demonstrierte. Aber auch ohne betrügerische Absichten, die im Übrigen bereits vorkämen, liege KI manchmal komplett daneben. Wer sie im Unternehmen einsetzen wolle dürfe deshalb zwei Dinge nicht vergessen: KI sei letztlich nur "Statistik auf Steroiden" und sie entwickle kein Verständnis der Dinge, über die sie entscheidet.

Grazia Frontoso von Google riet zu mehr Big Data in Unternehmen. (Source: Netzmedien)

Ohne Big Data keine KI

Eines der weltweit grössten IT-Unternehmen war mit Grazia Frontoso an der Fintech+ vertreten. Frontoso ist Customer Engineer bei Google Schweiz und sprach über die Bedeutung von Big Data für KI. Eigentlich ein Thema, von dem Unternehmen heute nichts mehr hören wollten, wie sie sagte. Dabei laufe ohne Big Data Analytics nichts bei der künstlichen Intelligenz.

Unternehmen stünden heute vor der Herausforderung, aus immer mehr Daten die relevanten Erkenntnisse herauszufiltern. Gerade das Wissen über die eigenen Kunden sei notwendig, um am Markt bestehen zu können. "Daten sind die neue Währung für den Erfolg eines Unternehmens", sagte Frontoso. Google habe diese Denkweise quasi in der DNA. Andere Firmen - gerade im Finanzbereich - täten sich aber schwer damit und würden nur einen Bruchteil der vorhandenen Daten als Grundlage für Entscheidungen brauchen.

Das Ziel sei eine "datengetriebene Kultur", sagte Frontoso. Um dorthin zu kommen brauche es Infrastruktur, die richtigen Mitarbeiter und Ressourcen, vor allem aber eine Datenstrategie. Um diese zu entwickeln brauche es Antworten auf drei Fragen: Welche Daten haben wir? Welche Daten können wir sammeln? Und: Was machen wir mit den Daten?

Auch Grazia Frontoso zeigte verschiedene Beispiele, wie Unternehmen diese Strategie umsetzen können. Eine Molkerei könne etwa die Menge der ankommenden Milch mit Daten von Wetter und Kühen vorhersagen. Ein Kleiderladen könne seinen Kunden schon in der Kabine Tipps für den Einkauf geben. Und Banken verspreche Big Data, ihre Kunden persönlicher anzusprechen.

Vor dem Saal, in dem die Referate stattfanden, hatten Fintech-Firmen ihre Stände aufgestellt. (Source: Netzmedien)

Die Veranstalter sind mit der ersten Ausgabe der Fintech+ sehr zufrieden, wie John Hucker auf Anfrage sagte. Mehr als 250 Besucher hätten den Event besucht. Internationale Delegationen, Partner und Sponsoren hätten sich bereits erkundigt, wann die nächste Fintech+ stattfinde. Für diese will Hucker den Schwerpunkt auf internationale Teilnehmer, Entscheidungsträger aus dem lokalen Markt und die Schaffung von Business-Kontakten legen. Ausserdem werde der Event wahrscheinlich auf einen Tag gelegt, um ihn so fokussiert wie möglich zu gestalten.

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