Die SwissCovid-App warnt zu spät oder überhaupt nicht – das sind die Gründe
Gemäss einem aktuellen Bericht kann die Corona-Warn-App ihren Zweck öfters nicht wie gewünscht erfüllen. Bund und Kantone sind gefordert.
Was ist passiert?
Die "Neue Zürcher Zeitung" (NZZ) hat am Freitag einen beunruhigenden Bericht zur SwissCovid-App veröffentlicht. Demnach wird nur ein kleiner Teil der Corona-Neuinfektionen in der App gemeldet. Und wenn eine Infizierung registriert werde, erfolge die Alarmierung manchmal zu spät.
Nur 11 Prozent der Neuinfizierungen werden gemäss NZZ-Bericht über die App gemeldet. Dies indem ein sogenannter Covidcode eingegeben wird, um andere zu warnen.
Die Code-Eingabe komme oft zu spät, so dass die Infektionsketten nicht frühzeitig unterbrochen werden. Und dies offenbar weil die vom Bund und den Kantonen organisierten Prozesse nicht wie geplant funktionieren.
Beunruhigende Zahlen
Die NZZ-Journalisten berufen sich bei ihren Recherchen auf Zahlen, die das Bundesamt für Gesundheit (BAG), als Herausgeberin der App, erstmals zusammengestellt habe.
Vom 25. Juni bis 8. August habe der Bund insgesamt 5168 Corona-Neuinfizierungen gemeldet.
In derselben Zeit seien in 752 Fällen sogenannte Covidcodes generiert worden, um andere Nutzer der SwissCovid-App über die Infektion zu informieren.
Doch nur 487 dieser Codes seien von Infizierten eingegeben worden. 265 Codes wurden nie verwendet.
Wo ist das Problem?
Zunächst ist an die Funktionsweise der SwissCovid-App zu erinnern: Das Eingeben des Covidcodes erfolgt absolut freiwillig. Es ist niemand verpflichtet, andere zu warnen.
Allerdings können auch App-User, die positiv auf Covid-19 getestet wurden und andere App-User warnen wollen, dies offenbar nicht immer tun. Und zwar weil sie von den kantonalen Gesundheitsbehörden nicht rechtzeitig den erforderlichen Covidcode erhalten. Dabei handelt es sich um den 12-stelligen Zahlencode, den man eingeben muss, um die anonyme Benachrichtigung der engeren Kontakte auszulösen.
So läufts ab
Jedes positive Covid-19-Testergebnis wird den betroffenen Personen telefonisch oder im persönlichen Gespräch mitgeteilt, erklärt die NZZ. Eigentlich sei dafür das Contact-Tracing-Team des jeweiligen Kantonsarztes vorgesehen. Doch in manchen Kantonen übernehme dies der Hausarzt oder das Testlabor gleich selber. Bei diesem Erstkontakt erteilten die Behörden Quarantänetipps und fragten, ob die SwissCovid-App im Einsatz sei. "Ist sie das, erstellen sie mit einer speziellen Software einen Code und übermitteln ihn per SMS oder E-Mail an die Patienten. Diese haben nun 24 Stunden Zeit, den Code in die App einzugeben."
Damit Infektionsketten möglichst schnell unterbrochen werden können, sollten die Betroffenen möglichst schnell das Testresultat erhalten und dazu den Covidcode. Doch genau da harzt es gemäss den NZZ-Recherchen. Es gebe in der Meldekette "gleich mehrere behördliche Stellen, welche die simple Code-Vergabe verzögern können":
Wenn Mediziner oder Labors das positive Testresultat nicht innert der vorgegebenen Frist von 2 Stunden dem kantonsärztlichen Dienst meldeten.
Wenn die Kontaktangaben der infizierten Person nicht stimmten und die Daten etwa beim behandelnden Arzt erfragt werden müssten.
Wenn sich die Kantone mit der Erstellung und Übermittlung der Codes (zu viel) Zeit liessen.
Zudem könne es nochmals eine Weile dauern, bis die infizierte Person den Code in der App eingebe.
Dieser Twitter-Nutzer, Angestellter beim Staatssekretariat für Wirtschaft, fragte beim Kanton nach, ob er den Covid-Code noch erhalte. Daraufhin empfahlen ihm laut NZZ die Beamten, die Hotline des BAG zu googeln und dort nach dem Code zu fragen. Erst als er bei Twitter die Vorgänge publik machte, erhielt er den Code – zehn Tage nach seinem Testresultat. (Source : Screenshot / https://twitter.com/schwayo/status/1291728628942872577?s=20)
Der Schweizer Epidemiologe Marcel Salathé, der massgeblich an der SwissCovid-Entwicklung beteiligt war, bezeichnete die Hinweise auf nicht oder zu spät vergebene Covid-Codes gemäss dem Bericht als "besorgniserregend".
Epidemiologe Marcel Salathé sagt: "Wir müssen herausfinden, was vor sich geht. Der Prozess ist nicht schwer. Es handelt sich lediglich um einen Code, der einfach und unmittelbar nach einem positiven Test generiert werden kann."
Um den Prozess zu beschleunigen, empfehle Salathé, den Code idealerweise mit dem Testergebnis zu überreichen.
Zum Vergleich: Bei der deutschen Corona-Warn-App wird beim Testen ein QR-Code abgegeben, mit dem man später das Testergebnis online abrufen kann. Betroffene können das Resultat aber auch bei einer Telefonhotline abfragen und erhalten auf Wunsch den Code für die Alarmierung.
Wie schlimm ist es?
Das lässt sich nur abschätzen. Das BAG liess verlauten, "es seien nur vereinzelt solche Fälle bekannt". Zudem seien die Kantone zuständig. Man gehe aber den Fällen von nicht verwendeten Codes nach und stehe in Kontakt mit den kantonsärztlichen Diensten, um die Gründe zu finden.
Im Moment würden anteilsmässig noch etwas weniger Neuinfektionen in der App gemeldet, als er erwartet hätte, sagte Salathé. Er hätte gehofft, dass die Zahl weiter ansteige: "Aus epidemiologischer Sicht würden wir uns wünschen, dass diese Zahl viel höher ist – jeder eingegebene Covid-Code hat das Potenzial, Übertragungsketten zu unterbrechen."
Ein weiteres Problem ist die nach wie vor relativ tiefe Akzeptanz der SwissCovid-App bei der Smartphone-nutzenden Bevölkerung. Die Zahl aktiver Nutzerinnen und Nutzer der App stagniert laut NZZ-Bericht bei rund 14 Prozent.