Zweitgrösste Krypto-Börse

Krypto-Börse FTX hat Liquiditätsprobleme – Binance hilft nicht

Uhr
von Patrick Toggweiler / watson, yzu

FTX, die zweitgrösste Kryptobörse der Welt, kämpft mit Liquidätsproblemen. Helfen könnte Binance, die weltgrösste Kryptobörse, diese hat sich nach anfänglichem Interesse wieder von einem möglichen Deal zurückgezogen.

(Source: Jonathan Borba / Unsplash)
(Source: Jonathan Borba / Unsplash)

Update vom 9.11.2022: Binance hat sich von einer möglichen Übernahme von FTX zurückgezogen. Der Grund seien Ermittlungen von US-Behörden gegen FTX sowie Berichte über möglichen Missbrauch von Kundengeldern.

Der Markt reagierte panisch. Bitcoin fiel in den letzten Tagen von über 21'000 Dollar auf unter 16'000 (Stand: 9.11.2022, 22.57 Uhr). Viele andere Coins wie Ether, Ripple, vor allem aber der FTX-Liebling Solana stürzten noch schlimmer ab.

Originalmeldung vom 8.11.2022

Die zweitgrösste Kryptobörse FTX hat Liquiditätsprobleme. Das meldete FTX-CEO Sam Bankman-Fried gestern per Twitter.

Dank der Unterstützung der grössten Kryptobörse Binance seien die Anlagen der User aber nicht in Gefahr. Binance hat eine (nicht bindende) Absichtserklärung unterzeichnet, FTX.com komplett zu übernehmen.

Das Drama hatte sich in den letzten Tagen angekündigt. Die Hauptrollen besetzen der Kanadier Changpeng "CZ" Zhao, Gründer und CEO der aktuell grössten Kryptobörse Binance, und – in der Rolle des geprügelten Hundes – Sam "SBF" Bankman-Fried, Gründer und CEO der aufstrebenden und je nach Messgrösse zweit- oder drittgrössten Kryptobörse FTX.

Der schrullige SBF genoss bis vor ein paar Wochen in der Kryptoszene einen hervorragenden Ruf. Seine nerdigen TV-Auftritte in Shorts, T-Shirts und mit Wuschelhaaren verhalfen ihm zu Kultstatus. Trotz Milliardenvermögen fährt er einen Toyota Corolla, lebt vegan und vertritt die Philosophie des Effektiven Altruismus. Sprich: Er will möglichst vielen Menschen schnell helfen. Er ist die personifizierte Antithese der Kryptopersönlichkeiten, die ihren finanziellen Erfolg gerne mit Statussymbolen herausposaunen.

SBF gründete 2017 den Kryptofonds Alameda Research und 2019 den Kryptoderivate-Handelsplatz FTX. Letzterer wuchs aufgrund interessanter Handelsmöglichkeiten in kürzester Zeit explosionsartig. Bereits zwei Jahre nach der Gründung verzeichnete FTX eine Million Nutzer und ein Handelsvolumen von 10 Milliarden Dollar – pro Tag. Für über 100 Millionen erstand sich FTX die Namensrechte des Stadions der Miami Heat. Partnerschaften mit Über-Basketballer Steph Curry und Footballstar Tom Brady wurden eingegangen.

Auftritt CZ. Auch CZ frönt nicht dem schnöden Mammon und präsentiert sich gerne bodenständig mit Kapuzenpullover und mönchartigem Kurzhaarschnitt. Doch CZ ist ein gewiefter Taktiker. In der schnelllebigen Kryptoszene, wo die Lichtgestalten reihenweise vom Sockel gestossen werden, überlebt CZ sämtliche Stürme anscheinend unbeschadet. Auch als FTX zum Angriff auf den Thron von Binance bläst. Denn CZ hat das Potenzial seiner Gegenspieler früh erkannt – und in FTX investiert.

Derweil prosperiert FTX. Im Sog des Hypes um die aufstrebende Kryptobörse steigt auch der Preis des hauseigenen Tokens (FTT) von einem auf 80 Dollar. Nur ein Bruchteil davon befindet sich auf dem Markt – der Rest bleibt im Besitz von FTX und Alameda. Und diese hinterlegen den jetzt wertvollen Token bei Geschäften als Sicherheit.

Als CZ seine FTX-Anteile 2021 verkauft, kriegt er dafür 2 Milliarden – ausbezahlt in FTT und BUSD. Ob CZ auf dieser Form der Bezahlung bestand oder FTX ihn nicht anders auszahlen konnte, ist unklar. Auf jeden Fall erhielt CZ damit nicht nur einen schönen Gewinn, sondern auch ein Mittel, FTX in den Ruin zu treiben. Denn: Die Nachfrage nach FTT ist so gering, dass Binance die Macht hat, den Markt zu fluten und den Preis ins Bodenlose krachen zu lassen. Der Marktleader würde damit zwar selbst seinen Gewinn verkleinern, dafür aber brächte er den aufstrebenden Konkurrenten in grösste Schwierigkeiten. Von dem wird nämlich gemunkelt, er habe zu grosse Risiken genommen und diese mit FTT gedeckt.

Doch CZ hat ein Problem: Sam Bankman-Fried ist der Darling der Szene. Eine derart offensichtliche Konfrontation könnte sich als Schuss ins eigene Knie erweisen. Die heilige Kuh darf (noch) nicht geschlachtet werden.

In der Kryptoszene drehen sich die Uhren schnell – und der Wind kann abrupt drehen. Das musste auch Sam Bankman-Fried erfahren. Das enorme Wachstum von FTX blieb den Behörden nicht verborgen. FTX steckt in Texas plötzlich in juristischen Schwierigkeiten. Ausserdem wird bekannt, dass SBF einen Gesetzesentwurf unterstützt, der in der Szene äusserst unbeliebt ist.

In einem vielbeachteten Podcast wird SBF vorgeführt. Er verheddert sich in Widersprüche, dem einstigen Überflieger werden vom brillanten Redner Erik Voorhees live die Flügel gestutzt. Die Stimmung kippt.

Nun ist die Zeit reif. Auf Twitter schwärzt CZ SBF an. Dieser habe bei den Regulierungsbehörden gegen ihn intrigiert. Unter dem Vorbehalt, nur Transparenz schaffen zu wollen, kündigt er an, Binance werde sämtliche seiner FTT-Tokens abstossen.

Die Botschaft löst aus, was sie sollte: In Erwartung fallender Preise versuchen FTT-Besitzer, zu retten, was noch zu retten ist, und verkaufen in Panik. Der Preis fällt rapide. Von knapp 20 Dollar auf 3,15 in einem Tag. Verängstigte Kunden, gebrannte Kinder der letzten Insolvenzen, ziehen ihr Erspartes von FTX ab – die Handelsplattform kommt in Liquiditätsschwierigkeiten. Es kommt, wie es kommen muss: Als goldener Retter präsentiert sich CZ und Binance.

Dieser Artikel erschien zuerst bei watson.ch

Webcode
DPF8_274088