IT-Beschaffungskonferenz 2025

Vom schweren Weg zur digitalen Souveränität

Uhr
von René Jaun und cka

Mit den neuen Handelszöllen der USA gegen die Schweiz ist der Ruf nach digitaler Souveränität lauter geworden. Ihm zu folgen, ist aber gar nicht so einfach, wie die diesjährige IT-Beschaffungskonferenz zeigte.

(Source: zVg)
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Was bedeuten die neuen US-amerikanischen Handelszölle für das Schweizer Beschaffungswesen? Wie sorgt eine Verwaltung für digitale Souveränität? Und wann ist man überhaupt digital souverän unterwegs? Dies sind nur einige der Fragen, die an der diesjährigen IT-Beschaffungskonferenz für Gesprächsstoff sorgten. Die von der Berner Fachhochschule (BFH) zum 14. Mal organisierte Tagung fand am 27. August 2025 auf dem Von-Roll-Areal statt. Über 400 Fachpersonen aus der Schweizer Beschaffungscommunity waren vor Ort, wie die BFH mitteilt - am Event selbst war mehrfach von einem Besucherrekord die Rede.

Die Konferenz stand unter dem Motto "Handeln statt hoffen - Souveränität und Nachhaltigkeit in turbulenten Zeiten" - und das zu Recht, wie Thomas Myrach, Direktor der Abteilung Information Management des BFH-Instituts für Wirtschaftsinformatik, in seinem Grusswort feststellte: "Von den Schrecken - wie der aufgeflammten kriegerischen Auseinandersetzung - will ich hier gar nicht erst reden", sagte Myrach. Stattdessen erinnerte er an die "aggressive Grossmachtpolitik" und deren Folgen, welchen Europa und die Schweiz ausgesetzt seien. Die regelbasierte Handelspolitik werde zunehmend in Frage gestellt "und mit knallharten Interessen und Machtpolitik ersetzt, die sich gern auf das Recht des Stärkeren abstellt".

Thomas Myrach, Direktor der Abteilung Information Management des BFH-Instituts für Wirtschaftsinformatik. (Source: zVg)

Thomas Myrach, Direktor der Abteilung Information Management des BFH-Instituts für Wirtschaftsinformatik. (Source: zVg)

Nationale Innovation und internationaler Wettbewerb

Noch stehe zur Frage, wie sich diese neuen Entwicklungen auf die künftigen Handelsstrukturen auswirken werden. "Trotz der grossen internationalen Turbulenzen müssen wir danach trachten, im kleinen Schweizer Kontext unsere Arbeit so gut wie möglich zu machen", gab Myrach dem Publikum auf den Weg.

Rika Koch, Co-Leiterin der Fachgruppe Public Procurement des BFH-Instituts Public Sector Transformation, blickte in ihrem Vortrag zurück auf die Geschichte des freien Handels. Zu den Errungenschaften gehört etwa das unter der Schirmherrschaft der Welthandelsorganisation (WTO) geschlossene plurilaterale Übereinkommen über das öffentliche Beschaffungswesen (GPA). Die unlängst von US-Präsident Donald Trump beschlossenen Handelszölle widersprechen derartigen Vereinbarungen.

Rika Koch, Co-Leiterin der Fachgruppe Public Procurement des BFH-Instituts Public Sector Transformation. (Source: zVg)

Rika Koch, Co-Leiterin der Fachgruppe Public Procurement des BFH-Instituts Public Sector Transformation. (Source: zVg)

Koch erinnerte aber auch daran, dass die USA schon seit einiger Zeit die Arbeit der WTO behinderten - "das hat bereits unter der Obama-Administration begonnen", als die Vereinigten Staaten dem zweiten Schiedsgericht der WTO "gerichtlichen Aktivismus" vorwarfen. Auch wenn die Schweizer Digitalbranche aus den USA vor allem importiert und nicht dorthin exportiert: Indirekt dürfte sie die Situation um die neuen Exportzölle zu spüren bekommen, wie Koch ausführte: Aufgrund der Schwächung der exportierenden Schweizer Wirtschaft dürften auch Digitalprojekte zurückgefahren werden. Zudem würden die Lieferketten noch fragiler als bisher. Und schliesslich habe die Schweiz im Rahmen der diplomatischen Verhandlungen ihre Abhängigkeiten verstärkt. So habe der Bund den USA gegenüber betont, die Schweiz habe weder eine Digitalsteuer noch eine Plattform- oder KI-Regulierung. Lesen Sie dazu auch, wie der Bundesrat den Verzicht auf eine Digitalsteuer in seine Verhandlungen einbaut und wer ihn dafür kritisiert.

"Wir haben unsere Abhängigkeit sozusagen als Pluspunkt in die Verhandlungsmasse geworfen", kommentierte Koch. Derweil seien aber auf politischer Ebene "wahnsinnig viele Vorstösse" zur Stärkung der digitalen Souveränität hängig. Während es heute - zumindest unter bestimmten Umständen - möglich ist, IT-Ausschreibungen geografisch auf die Schweiz oder Europa zu begrenzen, seien etwa Innovationsförderprogramme nötig. Lobend erwähnte die Referentin die Bemühungen um lokale Chipproduktionen. Allerdings sollte sich die Schweiz nicht vom internationalen Wettbewerb verabschieden: "Wir sind ein kleines Land und können nicht alles selbst produzieren", hielt die Referentin fest. Als gutes Beispiel verwies sie auf das Indo-Pacific Economic Framework, in dessen Rahmen sich mehrere pazifische Länder auf ein Freihandelsabkommen im Bereich des Supply Chain Managements einigten.

Gegendruck hilft nicht

In der anschliessenden Podiumsdiskussion zeigte sich Bundesverwaltungsrichter Marc Steiner, auch Co-Leiter der BFH-Fachgruppe Public Procurement, besorgt über die Veränderungen im Handelsmarkt: "Wir haben gar keine andere Chance als ein regelbasiertes System", stellte er klar. Die neue Strategie der USA sei es, in Verhandlungen entweder so viel wie möglich für sich herauszuholen oder sich zurückzuziehen. "Das können wir nicht machen, wir sind keine Grossmacht". Zu kurz gedacht sei auch, eine "Buy Swiss"-Strategie zu beschliessen. "Da funktionieren die Märkte nicht so, wie sich das gewisse Leute vorstellen."

Marc Steiner, Co-Leiter der BFH-Fachgruppe Public Procurement. (Source: zVg)

Marc Steiner, Co-Leiter der BFH-Fachgruppe Public Procurement. (Source: zVg)

Jochen Decker, IT-Leiter bei den Schweizerischen Bundesbahnen (SBB) führte aus, sein Unternehmen versuche stets, in der IT seine Unabhängigkeit zu bewahren. "Das hat einen Riesenpreis, denn der Markt ist extrem eng." Rational und faktenbasiert gedacht, sei die Entscheidung für die Unabhängigkeit jedoch "für uns der beste Weg". Auch Decker mahnte die Schweiz, sich ihrer Position bewusst zu werden und plädierte im Verlauf der Gesprächsrunde dagegen, auf die US-Zölle mit einer Digitalsteuer zu reagieren: "Wir würden uns ins eigene Bein schneiden", gab er sich überzeugt. Denn US-amerikanische Tech-Konzerne würden eine derartige Steuer schlicht auf die Kunden abwälzen. Zudem verschlechtere die Schweiz ihre Wettbewerbsposition gegenüber anderen Ländern ohne Digitalsteuer. Von Diskussionsleiter Matthias Stürmer auf mögliche positive Auswirkungen für lokale Anbieter angesprochen, stellte Decker fest, es gebe zumindest kurzfristig keine Alternativen zu Lösungen von Google, Microsoft und Co.

Übrigens weht dem Schweizer Handel nicht nur aus den USA ein kühler Wind entgegen. Die Fachpersonen am Panel kamen auch auf die Bemühungen der EU zu sprechen, einen "Buy European"-Grundsatz einzuführen. Gemeint sei damit tatsächlich "Buy EU", stellte Désirée Klingler fest. Die Schweiz sollte sich bemühen, in diesen Grundsatz eingeschlossen zu werden, machte die Assistenzprofessorin für Verwaltungsrecht an der Universität St. Gallen deutlich. Gleichzeitig gelte es, neutral zu bleiben, "um die amerikanische Verwaltung nicht zu sehr aufzuschrecken".

Jochen Decker, IT-Leiter bei den SBB. (Source: zVg)

Jochen Decker, IT-Leiter bei den SBB. (Source: zVg)

Quelloffen und doch abhängig

Wo von digitaler Souveränität die Rede ist, spricht man schnell auch von Open Source. In Deutschland etablierte das Zentrum für Digitale Souveränität (Zendis) unlängst eine Plattform, auf der Verwaltungen ihre quelloffenen Softwareprojekte teilen und weiterentwickeln können. Man habe mit der Plattform ein oft aus den Verwaltungen geäussertes Anliegen erfüllt, erklärte Leonhard Kugler, Leiter der Zendis-Abteilung Open Source Plattform - Opencode. Das sei für die Schweiz inspirierend, waren sich die Teilnehmenden einer zweiten Diskussionsrunde einig.

Daniel Markwalder (Mitte), Delegierter des Bundesrates für digitale Transformation und IKT-Lenkung. (Source: zVg)

Daniel Markwalder (Mitte), Delegierter des Bundesrates für digitale Transformation und IKT-Lenkung. (Source: zVg)

Seitens der Bundesverwaltung, die seit 2024 per Gesetz einen Open-Source-First-Grundsatz verfolgt, trat Daniel Markwalder auf. Man tausche sich mit Zendis und deutschen Verwaltungen aus und arbeite teilweise an verwaltungsübergreifenden Open-Source-Projekten, sagte der Delegierte des Bundesrates für Digitale Transformation und IKT-Lenkung (DTI).

Danielle Kaufmann, seit einem Jahr Datenschutzbeauftragte des Kantons Basel-Stadt, gab zu bedenken, Open Source klinge zwar gut, allerdings fehle es in vielen Behörden an entsprechenden Ressourcen oder Know-how. "Sie können im Moment nur einkaufen, was es auf dem Markt gibt", beschrieb sie ihren Eindruck.

Danielle Kaufmann, Datenschutzbeauftragte des Kantons Basel-Stadt. (Source: zVg)

Danielle Kaufmann, Datenschutzbeauftragte des Kantons Basel-Stadt. (Source: zVg)

Dass sich Kaufmann mehr digitale Unabhängigkeit wünscht, wurde im Frühling 2025 deutlich. Damals kritisierte die Datenschutzbeauftragte die Entscheidung des Basler Regierungsrates, die Office-Cloudlösung Microsoft 365 in der Verwaltung einzuführen. Von Diskussionsleiterin Rica Koch darauf angesprochen, erklärte Kaufmann, theoretisch hätte sie dem Vorhaben wegen datenschutzrechtlicher Bedenken "den Stecker ziehen" können. Doch die Folge wäre "ein Scherbenhaufen" gewesen, "der uns auch nicht weiterbringt". Stattdessen plädierte Kaufmann für zukunftsgerichtete Massnahmen: "Wir sind in dieser Abhängigkeit und es gibt ein grosses Risiko. Aber lasst uns die nächsten fünf Jahre strategisch planen". Längerfristig hätten quelloffene Plattformen ein hohes Potenzial.

Doch ist man mit Open-Source-Software automatisch unabhängig? Markwalder wandte dazu ein, diverse quelloffene Projekte seien nur bezüglich des Codes an sich wirklich offen. "Wenn es dann um die Enterprise-Edition geht, kommen doch wieder Lizenzrechte ins Spiel". Zudem brauche die Verwaltung auch Supportleistungen. Dies führe zu neuen Abhängigkeiten und zu "ähnlichen Mechanismen, die wir im anderen Kontext auch hatten". Tatsächlich verkauften manche Open-Source-Entwickler Support-Pakete an Unternehmen, räumte Matthias Stürmer ein und erklärte, für solche Anbieter sei dies eine Möglichkeit, sich zu finanzieren - "Die Software wächst ja nicht auf den Bäumen". Kugler merkte an, im Falle quelloffener Software habe man die Möglichkeit, derartige Supportleistungen jederzeit von anderen Unternehmen als dem ursprünglichen Hersteller zu beziehen.

Matthias Stürmer leitete die Diskussion. (Source: zVg)

Matthias Stürmer leitete die Diskussion. (Source: zVg)

 

Was Open Source in öffentlichen Verwaltungen leistet, war eines der Schwerpunktthemen an der Fachkonferenz Transform 2024. Hier erfahren Sie, was schon geht, was kommt und was noch fehlt.

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