Catherine Pawlotsky und Jürg Wittwer im Interview

Wie sich der TCS die Mobilität von morgen vorstellt

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Vor 125 Jahren ist der Touring Club Schweiz gegründet worden. Ins Leben gerufen von ein paar Velofahrern, passte er sein Angebot laufend an. Inzwischen ist auch die Blockchain ein Thema, wie Catherine Pawlotsky, seit Frühling CIO beim TCS, erklärt. Warum es bis zu komplett autonom fahrenden Autos noch länger dauern dürfte, sagt CEO Jürg Wittwer.

Sie sind seit fast 30 Jahren in der IT-Branche tätig. Was hat Sie ­gereizt, sich als CIO beim TCS zu bewerben?

Catherine Pawlotsky: Schon bevor ich beim IKRK anfing, wo ich acht Jahre lang tätig war, war der TCS eindeutig eine der Institutionen, bei denen ich mich hätte bewerben wollen. Zu dieser Zeit gab es diesbezüglich jedoch keine Möglichkeiten. Die Stelle des TCS-CIO wurde frei, als ich gerade meine zweite vierjährige Amtszeit beim IKRK beendet hatte. Nicht nur die Transformationsherausforderungen und -ziele des TCS, sondern auch seine auf den Menschen ausgerichtete Tätigkeit haben mich zu meiner Bewerbung motiviert.

Was nehmen Sie aus Ihrer Zeit als CIO des IKRK mit?

Pawlotsky: Eine einzigartige Erfahrung, die ich jeden Tag in meiner Aufgabe beim TCS mit ähnlichen Herausforderungen – IT-Modernisierung, Standardisierung und Effizienz von IT-Teams –, einer ähnlichen Kultur – Dienst am Menschen, ein starkes Engagement – und hochmotivierten Teams nutzen kann. Es ist wichtig, sich auf die Bedürfnisse unserer internen Kunden zu konzentrieren und eng mit allen TCS-Geschäftsbereichen zusammenzuarbeiten. So können wir unseren Kunden den bestmöglichen Service mit der grösstmöglichen Effizienz bieten.

Was sind die wichtigsten Aufgaben Ihrer IT-Abteilung?

Pawlotsky: Das Team Informationssysteme beim TCS umfasst mehr als 80 Personen, die für drei Hauptaufgaben eingesetzt werden: Erstens ist die IT-Abteilung verantwortlich für die Integrität, Verfügbarkeit und Sicherheit des TCS-Informationssystems. Die Abteilung garantiert die Verfügbarkeit der Dienste für die 2200 internen und externen Nutzer gemäss den festgelegten Verpflichtungen 24 Stunden am Tag. In diesen Bereich gehört auch die Absicherung des Informationssystems gegen Angriffe von aussen. Zweitens bietet die IT Mehrwertdienste für alle TCS-Geschäftsbereiche und konzentriert sich auf das Benutzererlebnis und die Benutzerfreundlichkeit. Hier findet auch die Anpassung des Informationssystems an den Geschäftsbedarf durch einfache, wirksame und zuverlässige Lösungen zur Verbesserung der Produktivität statt. Dies immer mit Blick auf die Kosten. Zudem wird in diesem Bereich die Servicequalität mit angemessenen Service Levels (SLA) sichergestellt. Und drittens erweist sich die IT in diesem Bereich als Innovationsmotor.

Der TCS beteiligt sich am Projekt Cardossier, das den Autohandel auf die Blockchain bringen will. Wo steht dieses Projekt?

Pawlotsky: Das Projekt entwickelt sich stetig weiter, sodass sukzessive neue Funktionalitäten und Möglichkeiten analysiert und integriert werden. Beispielsweise wird geprüft, ob künftig mit Cardossier Prozesse rund um den Halterwechsel digitalisiert und die Arbeit der Betroffenen erleichtert und der Zeitaufwand minimiert werden kann.

Wozu braucht es überhaupt die Blockchain für den Autohandel?

Pawlotsky: Ziel der Bestrebungen zur Blockchain-Technologie in der Automobilindustrie ist es, Transparenz in das automobile Ökosystem zu bringen und Vertrauen für alle Handelspartner zu etablieren. Dank der Blockchain-Technologie sollen Daten eines Fahrzeugs nicht mehr an verschiedenen Orten und in unterschiedlichem Umfang gespeichert, sondern bei mehreren Marktteilnehmern in derselben Qualität und immer auf dem aktuellen Stand vorhanden sein. Einen Datensatz ohne entsprechende Autorisierung zu verändern, ist auf dieser Basis dann nicht mehr möglich und damit soll künftig die gesamte Historie eines Fahrzeugs lückenlos dargestellt werden können.

An welchen anderen Digitalprojekten arbeitet der TCS?

Pawlotsky: Zwei grosse Projekte sind einerseits TCS MyMed Home, die medizinische Informations- und Hilfsplattform. Hier befinden wir uns aktuell im weiteren Auf- und Ausbau des Angebots. Andererseits "Park & Pay". Als integrierte Funktion in der TCS-App bietet Park & Pay "Cashless Payment" an Parkuhren in der Schweiz an. Dies anbieterunabhängig, da wir über unsere Plattform verschiedene Schweizer Anbieter angebunden haben und somit den Vorteil bieten, statt je nach Standort verschiedene Anbieter-Apps nutzen zu müssen, alles aus einer App erledigen zu können. Neben diesen laufenden Projekten arbeiten wir in der TCS-App laufend an der Weiterentwicklung des Nutzer­erlebnisses und der Integration neuer Funktionalitäten.

Wie stellen Sie sich die Mobilität der Zukunft vor?

Jürg Wittwer: Die Mobilität steht am Anfang einer erneuten Revolution, die so tiefgreifend sein wird, wie die Erfindung der Eisenbahn oder des Flugzeugs. Treiber dieser Umwälzung ist in einer ersten Phase die Elektrifizierung und in einer zweiten Phase die Automatisierung der Verkehrsmittel. A priori kann ein autonomes Auto auch von einem Verbrennungsmotor angetrieben werden, aber mit einem Elektromotor ist die Integration in die digitale Fahr-Intelligenz sehr viel einfacher. Die Elektrifizierung des Antriebs wird das Auto grundlegender verändern, als wir dies heute denken. Das Dogma der Elektroautos der letzten Jahre bestand darin, "gleich zu sein" wie ein Auto mit Verbrennungsmotor. Heute denkt man bei der Elektrifizierung des Verkehrs zunächst mal an ein elektrisches Auto, das hoffentlich 500 Kilometer weit fährt und nicht zu teuer ist. Tesla ist zwar ein Pionier der Branche, doch das Ziel von Elon Musk war nicht, das Auto zu revolutionieren. Im Gegenteil, es ging darum, ein Auto der oberen Mittelklasse zu bauen, das trotz einer anderen Antriebsart möglichst gleich wie ein Auto mit Verbrennungsmotor aussieht und fährt. Das passiert üblicherweise mit neuen Technologien. Sie werden zunächst nur eingesetzt, um Bestehendes schneller oder günstiger zu machen. Als Beispiel: Anfangs diente das Internet hauptsächlich dazu, eine Nachricht schneller zu versenden als mit Briefpost. Erst mit der Zeit erkannte man das volle Potenzial der Technologie.

Was heisst das konkret für Autos?

Wittwer: Heutige Autos sind um den Verbrennungsmotor und dessen umfangreiche Mechanik herum gebaut. Die gestalterischen Freiheiten der Elektromobilität wurden bisher, insbesondere von den traditionellen Herstellern, nicht einmal im Ansatz ausgenutzt. Dies wird sich in naher Zukunft ändern und wir werden völlig neue Autos auf unseren Strassen sehen. Beispielsweise tüfteln Forscher derzeit an Pods, das sind sportliche Ein- und Zweiplätzer, sehen aus wie eine Mischung zwischen Auto und Motorrad und sind die idealen Stadtflitzer. In einer zweiten Phase folgt dann die Automatisierung.

Wagen Sie eine Prognose? Wann fahren die Autos in der Schweiz komplett autonom?

Wittwer: Der voll-autonome Privatwagen wird wohl erst in 20 Jahren auf unseren Strassen fahren. Jeder, der schon einmal in Zürich in der Nacht bei Schneefall einen Weg zwischen Fussgängern und Tram gesucht hat, weiss, welche Herausforderungen hier auf die Entwickler warten. Aber bereits in drei bis fünf Jahren dürfen wir mit Autos der Automatisierungsstufe 3 rechnen (siehe Kasten Seite 30) – dann könnte man im stockenden Verkehr zwischen Zürich und Bern theoretisch die Zeitung lesen. Ebenfalls in diesem Zeitraum werden autonome Busse auf unsere Strasse kommen, die fixe Routen abfahren – und hoffentlich im Gegensatz zu heute tatsächlich Verkehrsmittel und nicht schleichende Verkehrshindernisse sind.

Ist der Individualverkehr langfristig betrachtet ein Auslaufmodell?

Wittwer: Das Bundesamt für Verkehr hat erst kürzlich angekündigt, dass der Modalsplit, das heisst die Aufteilung der Personenkilometer zwischen ÖV und Individualverkehr, von heute 20 auf 25 Prozent im Jahr 2050 gesteigert werden soll. Mit anderen Worten: Das Auto ist heute mit Abstand das beliebteste Verkehrsmittel der Schweiz und wird dies auch im Jahr 2050 sein. Persönlich bin ich der Meinung, dass sich der Modalsplit wohl eher in die andere Richtung bewegen wird. Mit der Elektrifizierung wird das Auto günstiger – wenn der Batteriepreis weiterhin sinkt, ist ein Elektroauto bald günstiger als sein Gegenstück mit Verbrennungsmotor und ökologischer, man darf es mit reinem Gewissen fahren. Mit der Automatisierung wird das Autofahren deutlich bequemer, und zwar schon ab Stufe 3 in ein paar Jahren. Es gibt also keinen Grund, warum das Auto ein Auslaufmodell sein sollte.

Welche Rolle spielt die Digitalisierung für die Verkehrswende, also für die Umstellung auf nachhaltige Energieträger?

Wittwer: Die Digitalisierung wirkt auf die oben erwähnten Treiber der Mobilitätsrevolution wie ein Beschleuniger. Sharing- und Ride-Hailing-Modelle existieren nur dank und mit dem Smartphone. Die Ladeinfrastruktur für die Elektroautos, insbesondere der Lastenausgleich, ist an die IoT-Technologie gebunden. Und schliesslich ist autonomes Fahren ohne künstliche Intelligenz respektive Machine Learning nicht realisierbar.

Bedeutet mehr Digitalisierung weniger Autos?

Wittwer: Die Elektrifizierung wird es ermöglichen, günstigere und vielfältigere Autos zu bauen, mit anderen Worten: Die Anzahl Autos wird tendenziell zunehmen, insbesondere wenn Pods oder elektrische Kleinstautos für unter 10 000 Franken auf den Markt kommen. Entsprechende Modelle gibt es bereits, etwa der Citroën Ami für 6900 Euro in Frankreich oder der Hong Guang Mini EV, der in China für 4500 US-Dollar verkauft wird. Damit wird das Auto, oder gar das Zweit-Auto, für viele neuen Kundengruppen erschwinglich – und somit wird es mehr Autos geben. Die Digitalisierung wird diesen Trend nicht aufhalten können. Ride-Hailing-Modelle, wie Uber oder Lyft, haben zwar einen beträchtlichen Erfolg, führen a priori aber nicht zu weniger Fahrzeugen. Die Sharing-Modelle andererseits haben es bislang nicht geschafft, in der Breite Anklang zu finden. Das liegt wohl auch an der menschlichen Psyche. Auch der Rasenmäher steht 95 Prozent der Zeit einfach herum, und trotzdem hat jeder Gartenbesitzer seinen eigenen. Die Digitalisierung wird das jahrelange Wachstum des Fahrzeugparks darum im besten Fall etwas abschwächen können.

Eine automatisierte, vernetzte Mobilität birgt auch Risiken, etwa in puncto Datenschutz, aber auch in ethischen Fragen rund um künstliche Intelligenz. Wo sehen Sie die grössten Herausforderungen auf uns zukommen?

Wittwer: Tatsächlich sind die modernen Autos unglaubliche Datensammler und mit teilautonomen Fahrzeugen wird dies weiter zunehmen. Im Rahmen des Aktionsprogramms "MyCarMyData" der FIA setzt sich der TCS darum dafür ein, dass die Daten des Fahrzeugs Eigentum des Fahrers sind. Die ethischen Probleme lassen sich auf theoretischer Ebene recht gut und mit klaren Antworten regeln, zum Beispiel geht Sachschaden dem Personenschaden vor, oder jede Qualifizierung von Menschen durch persönliche Merkmale ist verboten. Schwieriger ist allerdings, die Compliance einer selbstlernenden Intelligenz mit diesen Prinzipien sicherzustellen. Beispielsweise haben Techniker festgestellt, dass mit steigendem Lernen die autonomen Fahrzeuge im Fahrstil tendenziell aggressiver werden.

Was überwiegt aus Ihrer Sicht: die Chancen oder Risiken des autonomen Fahrens?

Wittwer: Es überwiegen ganz klar die Chancen. Autonome Fahrzeuge verheissen eine bequeme, umsteigfreie, sichere, effiziente und ökologische Mobilität. Das Ziel von null -Toten im Strassenverkehr ist nur mit autonomen Fahrzeugen erreichbar. Diese Chance sollten wir nicht verpassen.

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